Augustinermuseum Freiburg i. Br., 1009/11
Das Museum: eine Anleitung zum Genuß der Werke bildender Kunst
Berlin, 11. Band.[1911]
Seite: 15
(PDF, 164 MB)
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in der kritischen Analyse noch weiter gehen, so
könnte man sagen, dass im ersten Gemälde das
orientalische, im zweiten das romantische, im dritten
das religiöse Element vorherrscht. In „Thalita
Cumi" zeigt der Künstler mehr seine Meisterschaft
der Komposition, die freie Originalität seiner Zeichnung
oder vielmehr seiner dramatischen Darstellung,
in der „Versuchung des hl. Antonius" ist er
mehr Maler und erreicht die plastische Darstellung
durch den Zauber seines Kolorits, in „Christus in
der Wüste" ist er mehr Lyriker und befreit sich
fast von dem Zwange der Technik, der gegenüber er

allerdings stets eine charakteristische Gleichmütigkeit
bewiesen hat. In keinem Gemälde giebt Morelli
einer einzelnen Gestalt das Uebergewicht über die
Gesamterscheinung des Vorganges, weder der Poet
in „Tasso und Eleonora", noch der Anachoret in
der „Versuchung des hl. Antonius" oder der
Erlöser in „Christus in der Wüste" erscheinen
als vollständig ausgeprägte Persönlichkeiten. DerKünst-
ler drückt im Bilde sein Gefühl aus und seine Geschöpfe
zeichnen sich nur als Ton und Farbe auf dem Hintergrunde
dieses Gefühls ab. Hierin muss man ihn wohl tadeln
, aber man muss ihn auch zu verstehen suchen.

Ugo Fleres.

Gerard Ter Borch.

(1617 —1681.)

DIE Niederlande sind die wahre Heimat des
modernen Sittenbildes. Hier zuerst hat man
es gewagt, das alltägliche Leben in seinem weitesten
Umfang in den Bereich der künstlerischen Darstellung
hineinzuziehen. Es geschah das im Laufe des
sechzehnten Jahrhunderts und noch mehr des siebzehnten
. Die Kunst, von Haus aus hier wie aller
Orten kirchliche Kunst, erfährt in jener Zeit eine
völlige Umbildung ihres Stoffgebietes durch die Reformation
; von der eigentümlichen Weihe, die ihr
vordem der kirchliche Cultus gab, büsst sie dabei
ein, aber sie gewinnt auf der anderen Seite an Vielseitigkeit
und Volkstümlichkeit unter dem Einflüsse
der freieren geistigen Strömung, die der vordringende
Protestantismus anbahnt. So vertauscht sie in der
Zeit der grossen kirchlichen Bewegung — und das
ist das Bild der Entwicklung ganz besonders in
den nördlichen „Sieben-Provinzen" der Niederlande—
das geistliche Gewand mit dem weltlichen, nicht ganz,
aber doch so, dass kein Zweifel darüber sein kann,
welchem von beiden sie den Vorzug giebt. Und indem
sie sich dabei von jenem naiven naturalistischen
Sinne leiten lässt, in welchem die Summe des künstlerischen
Empfindens hier im Norden von je ihren
prägnanten Ausdruck gefunden hat, schreitet sie zugleich
von den Idealen der älteren Zeit und den ihr
geläufigen Typen vor zur Darstellung von Individuen
und zur Charakterdarstellung im eigentlichen Sinne.

Es ist ein überaus ergiebiges Stoffgebiet, das
sich unter dem so veränderten Gesichtskreis vor dem
schaffenden Künstler aufthut. Da malt der Eine
das Treiben des niederen Volkes, die Schänke und
den Tanzboden, oder die bescheidene Hütte des
Tagelöhners; die Kriegshändel der Zeit nimmt sich
ein Anderer zum Vorwurf, ein Dritter die behagliche
Enge des bürgerlichen Hauses: kein Stand ist ausgenommen
, Edelmann und Ratsherr, Doktor und

Apotheker, der Soldat wie der Kaufmann und der
Gelehrte, ihrer keiner entgeht dem Scharfblick des
Künstlerauges, das einem jeden von ihnen „die Gestalt
zu stehlen und das Wort von den Lippen zu
nehmen" weiss. Wenn dabei nicht selten eine be-
wusste und oft auch anzügliche Komik mit unterläuft
, so ist das nur bezeichnend für Land und Leute.
Eine gute Dosis „attischen Salzes" eignet ja von
Natur dem niederdeutschen Witz; in den belangreichen
Sprichwörtern, den neckenden Wendungen,
die er liebt, tritt diese Mitgift deutlich zu Tage.
Da befremdet auch ein derbes Stück Satire nicht,
das hier und da, wie in der volkstümlichen Poesie,
so auch in den Schildereien der Maler des siebzehnten
Jahrhunderts in den Niederlanden seine Rolle spielt.

Nicht alle, die in jener Zeit den Pinsel führten,
haben ihr Handwerk gleich gut verstanden, so ist
auch der Genuss, den ihre Werke bieten, verschieden
geartet. Aber es ist kaum Einer unter ihnen, der
so viel anmutiges Behagen um sich zu verbreiten,
der so voll Heiterkeit zu schildern, so anschaulich
zu erzählen gewusst hätte, wie Gerard Ter Borch,
Maler und zeitweiliger Bürgermeister der guten Stadt
Deventer es verstanden hat.

Ter Borch entstammte einer angesehenen Familie
in Zwolle, die sich durch einen wahren Reichtum
an künstlerischen Talenten auszeichnete. In einer
Reihe kunstbegabter Geschwister wuchs Gcrard als
der begabteste auf; seinen ersten Unterricht hat
wohl der Vater geleitet, der selber Maler von Profession
war. Später begegnen wir dem Künstler
in Haarlem, wo er zur Schule des Frans Hals in
Beziehung tritt. Man fühlt den Einfluss der neuen
Umgebung nicht nur in der Arbeitsweise, die er
dort annimmt, auch die Gegenstände sind für die
Haarlemer Schule bezeichnend, die ihn gerade in
dieser Zeit beschäftigen, Dinge aus der nicht immer


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