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und mit dem üppigen Haar (Abb. S.41). Wie die nackte
Figur, so erfuhr auch die bekleidete eine neue künstlerische
Auffassung. Die Gewandung wird als etwas
Wesentliches und Selbständiges verstanden und
demgemäss behandelt. In der Antike ist das Gewand
stets nur Folie des Körpers; dort kann unmöglich
der Satz aufkommen, dass Kleider Leute
machen; denn jede antike Statue wirkt, auch wenn
sie bekleidet ist, zunächst und fast ausschliesslich
durch die Proportion, die Bewegung und Bildung
der Teile ihres Körpers. Es ist erstaunlich, wie
spät und schwer die moderne Kunst einsieht, dass
dieser Mafsstab für sie unanwendbar ist, dass ihr
Objekt allemal in Kostüm gedacht ist. Die Porträtfiguren
Bernini's, seine Päpste auf den Grabdenkmälern
in St. Peter, verdienen als Muster moderner
Gewandbehandlung genannt zu werden; wenige
haben so wie er Majestät in die schweren Mäntel
und ein leidenschaftliches Brio in rauschende Falten
zu legen gewusst. Es ist bezeichnend, dass die
Vorwürfe gegen Bernini's Gewandbehandlung ihn
nur da treffen, wo er als Künstler unfrei war. Im
Nackten wie in der bekleideten Porträtfigur ist er
gleich vorzüglich; dagegen die bekleideten Alle-
gorieen, weibliche Figuren, die nackt gedacht sind,
sind ihm misslungen; bekleidet wurden sie, weil die
skrupulöser gewordene Kirchlichkeit es so verlangte;
eine künstlerische Nötigung sprach nicht dafür.
Man wird jeden Künstler da wirkungslos finden, wo
man ihn zwingt, etwas zu sagen, ohne dass er etwas
zu sagen das Bedürfnis hat.
Die Wirkung des Lebhaften, Eindringlichen zu
erleichtern, hat Bernini gern zur Vereinigung verschiedenfarbigen
Materials gegriffen. Am Grabmal
Urbans VIII. (Tf.82.83) ist die Papstgestalt Bronce, die
Allegorieen sind aus weissem Marmor, der Sarkophag
schwarzer Marmor. Zu anderen Malen sind die
Draperieen aus buntfarbigem Marmor gebildet, Vergoldung
ist nicht vergessen, und so war eine Anregung
polychromer Behandlung gegeben, welche
auf das allerwirksamste von den Späteren ausgebildet
und zu glänzenden Effekten gesteigert
worden ist.
Aber auch wo Bernini auf solche Hilfsmittel
lebendigeren Eindrucks verzichtet, weiss er dem
einfarbigen weissen Marmor Illusionswirkungen abzugewinnen
, die vor ihm niemand für möglich gehalten
hätte. Sein kühnstes Werk dieser Art ist die
Ekstase der heiligen Theresa (Abb. S. 42), wo der
Körper in einer Konvulsion und nervösen Spannung
dargestellt ist, die, rein künstlerisch genommen, zum
ausserordentlichsten gehört, was der Meissel im Festhalten
des augenblicklichsten Ausdrucks leisten kann.
Gestalten von so sensibler Nervensubstanz sind
kaum — das fühlt jeder — in einem architektonischen
Rahmen festzuhalten, und so hat der
Künstler in sicherer Empfindung die Heilige auf
eine Wolkenunterlage gebettet. In solchen extremen
Leistungen hat sich Bernini mit wechselndem Glück
wiederholt. Seine Figuren erscheinen dann wie in
einem Tremulo, als sollte der Schein der Bewegung
in dem Festruhenden um jeden Preis erzielt
werden. Was nachher Schüler, von hier ausgehend
, in Uebertreibungen gesündigt haben, darf
man nicht durchaus dem grandiosen Bemühen des
Meisters zurechnen.
Carl Neumann.
Luca Signorelli.
i44i(?)—1523.
LUCA SIGNORELLI ist das kraftvollste künstlerische
Genie, welches Italien südlich von Florenz
hervorgebracht hat. Der Schüler des Piero dei Franceschi
, des Patriarchen umbrischer Malerei, der,
begabt mit Kraft und Erhabenheit, in mächtigen
Linien seine Sprache fand, wurde Luca, der Pflegesohn
eines solchen Heroen, von Kindheit an grossgezogen
mit der Milch, welche seine eigenen verwandten
Anlagen zur kräftigsten Entwicklung brachte.
Begabt, wie nur wenige, mit dem Sinn für das
Heroische im Leben und für das Prophetische im
Handeln, lernte er schnell alle hierzu nötigen Ausdrucksmittel
bemeistern. Nachdem Luca die Gabe
Pieros für Bau und Modellierung menschlicher Form
in sich aufgenommen hatte, kam er nach Florenz,
und hier lehrte ihn Antonio Pollajuolo die schwere
Kunst, den Menschen anatomisch zu bilden, seine
Adern mit lebenswarmem Blut zu füllen, ihm jegliche
Bewegung und Stellung anzuweisen, welche
der Künstler immer anwenden mag.
Erfahren in der Kunst, die Dinge überzeugend
wirklich zu gestalten, voll begabt, ihnen den Lebensodem
einzublasen, war Luca wie kein anderer moderner
Maler vor ihm der Mann, es mit dem
grössten aller Probleme in der Kunst aufzunehmen:
dem Nackten. Es war nicht etwa Zufall, dass er
darauf verfiel. Signorelli empfand vollauf die Macht
(und er war der erste moderne Mensch, der sie
überhaupt empfand), welche das Nackte besitzt, in
uns das Gefühl stärkerer Realität zu erwecken, uns
die Kräfte der Energie, welche ihm — dem Nackten
— innewohnen, mitzuteilen, mehr noch, uns mit
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