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Edward Burne-Jones, Das Haus des Todes.
Aus dem Cyclus ,,Orpheus und Eurydice".
Die Präraffaeliten.
DIE „Brüderschaft der Präraffaeliten" war eine
Gemeinschaft blutjunger Künstler, besonders
des Rossetti, Millais und Holman Hunt, die sich in
London in dem Gedanken zusammenfand, dass die
englische Kunst auf Irrwegen sei. Diese hatte den
Gedanken Joshua Reynolds zur Richtschnur genommen,
vollendete Kunst könne man schaffen, wenn man
die Zeichnung Raffaels mit der Farbe Tizians und dem
Helldunkel Correggios vereine. Es gelte also, alle
drei fleissig zu studieren und mit ihren Augen die
Natur zu erfassen. Im Jahre 1848 traten die jungen
Reformatoren zuerst mit ihren Werken hervor und
bahnten somit, unter stürmischem Widerspruch aller
Leute von „gutem Geschmack" und von „Kunstverständnis
" einer neuen Schaffensart den Weg.
Die Verhältnisse in England lagen ähnlich wie
etwa vor einem Jahrzehnt bei uns in Deutschland.
England hatte seinen Defregger oder Grützner: Mul-
ready oder Collins, und seinen Makart: Etty. Es
hatte eine Kunst, mit der alle Welt zufrieden war
und die der Nation die sichere Ueberzeugung bot,
das Beste in Europa zu leisten: Kein Maler der
Welt erhielt Preise wie Landseer, der berühmte
Tiermaler; die malerische Meisterschaft eines Wilkie
und Leslie, die psychologische Wahrheit in ihren
novellistischen Bildern war kaum je erreicht worden;
noch strahlte über England der Glanz der alten
Bildnismaler: Reynolds, Raeburn, Lawrence; an den
Kampfbildern eines Turner hatte sich eine Schule
von Landschaftsmalern herangebildet mit Calcott an
der Spitze, welche sich mit den besten Holländern
in eine Reihe zu stellen nicht zu scheuen brauchte.
Die Bilder sind wirklich gut, welche damals gemalt
wurden, noch heute die Zierde jeder Galerie, noch
steigen sie auf den grossen Auktionen im Preise,
noch hält England fest an den Namen, welche es
in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit Verehrung
nannte.
Und es thut gut daran, obgleich die Präraffaeliten
endlich als Sieger aus dem durch Jahrzehnte geführten
Streite hervorgingen, obgleich ihre Einwirkung,
wie es scheint, in den letzten Jahren erst recht die
jungen Köpfe erfasst hat. Denn drüben ist man
nicht ganz so theoretisch gestimmt wie bei uns,
drüben glaubt man nicht, dass das Alte schlecht sein
müsse, weil das Neue anders und doch gut ist.
Freilich mancher Ruhm ist in England untergegangen
. So der der älteren Idealisten, von dem
Kaulbach Grossbritanniens, dem Londoner Akademie-
Präsidenten West — er konnte mehr als Kaulbach
und war ernster als dieser — bis zu jenem Etty,
der seine Zeitgenossen zu einem Taumel der Begeisterung
hinriss, dem Tizian Englands, dessen
Pinsel der Leinwand Leuchtkraft, den warmen
Fleischtönen Leben gab. Gerade die Meister, welche
über die Natur hinaus wollten, die Besseres, Edleres
zu geben trachteten, hat die schnöde Nachwelt als
maniriert, als langweilig beiseite gestossen.
Die jungen Mitglieder der Brüderschaft wollten
an Wahrheit ihre Zeitgenossen übertreffen, die volle
Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen
, wie es in der Eidesformel der Gerichte heisst.
So wahr mir Gott helfe! setzten sie in der religiösen
Grundstimmung ihrer Begeisterung leise hinzu. Ein
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