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Die Farbengebung der Blütezeit.
DIE Italiener thun recht, wenn sie die Kunstentwicklung
nach vollen Jahrhunderten abteilen
: wie das Trecento auf den Schultern Giottos,
das Quattrocento auf denen Masaccios steht, so hat
das Cinquacento sein Gepräge durch Lionardo erhalten
. Mit dem Jahre 1500 beginnt auch ein ganz
neues Farbenempfinden: die schönfarbige Art, welche
den vorhergehenden Zeiten ihr monumentales Gepräge
verliehen hatte, wird durch das Clairobscür,
nämlich die einheitlicheDurchmodellierung des ganzen
Bildes, abgelöst. Ein paar Jahrzehnte lang malen
noch einige Künstler, wie z. B. der alte Perugino,
in der gewohnten Weise weiter; die führenden
Meister aber erfassen sofort die neue Manier, die
auch von all ihren Schülern aufgenommen wird und
bis in das letzte Viertel des ig. Jahrhunderts
herrschend bleibt.
Eine Vorbedingung für diese veränderte Be-
handlungsweise bildetdieUebernahme der flandrischen
Oelmalerei durch die verschiedenen Kunststätten
Italiens während des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts
. Um 1475 beherrschte Antonello da Messina
sie bereits in Venedig und gleichzeitig suchten Florentiner
Künstler mit ihrer Hilfe der trockenen und
zähen Temperamalerei erhöhten Glanz und stärkere
Tiefe zu verleihen. Eine der frühesten Verwendungen
der Oelfarben dürfte Verrocchios grosse Taufe Christi
in der Florentiner Akademie aufweisen, worauf
der eine der beiden bedienenden Engel von dem
jugendlichen Lionardo, dem Schüler Verrocchios, gemalt
ist, und wo die sorgfältige Durchmodellierung
des Körpers Christi in Oelfarbe wohl auch auf
Rechnung desselben, für alles Neue empfänglichen
Geistes zu setzen sein wird.
Die flandrische Art der Oelmalerei gestattete
wohl eine weit grössere Einheitlichkeit in der Behandlung
, als sie bis dahin bei der sorgfältigen Auswahl
der über einander zu legenden Tempera-Farben
möglich gewesen war; auch bot sie die Mittel, die
Schatten wesentlich zu verstärken und dadurch den
Bildern eine reichere Abstufung in der Modellierung
zu verleihen: aber wie diese Eigenschaften nicht
dazu geführt hatten, die Eycksche Schule über das
Prinzip der Schönfarbigkeit hinauszuheben, so hätten
sie an und für sich wohl auch in Italien keine grundlegende
Umwälzung herbeigeführt, wenn nicht ein
Genius von universeller Anlage die Bedingungen für
eine Weiterbildung in der Oelfarbentechnik erkannt
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und gleich in abschliessender Weise zur Verwirklichung
gebracht hätte: derselbe Lionardo da Vinci,
von dessen frühen Versuchen soeben die Rede gewesen
ist.
Lionardo erfasste in der Oelmalerei die Möglichkeit
, das ganze Bild in einer einheitlichen neutralen
Farbe — bei ihm in einem kühlen Braun —
zunächst vollständig durchzumodellieren, so dass es
gleich einer Zeichnung nur durch die Gegensätze
und Abstufungen von Hell und Dunkel wirkt — daher
der Name Chiaroscuro —, dafür aber bereits, mit
alleiniger Ausnahme der Farbe, die später darauf
gesetzt wird, alle Bestandteile einer bildmässigen
Wirkung in voller Durchführung enthält. Derartige
Untermalungen von seiner Hand besitzen die Uffizien
in Florenz an seiner grossen Anbetung der Könige,
die 1478 bei ihm bestellt wurde, und der Vatikan
an seinem h. Hieronymus. Wie er die so begonnenen
Bilder mit äusserster Sorgfalt durch fortgesetztes
Ueberlegen von Lasuren und genaue Ausführung
aller Einzelheiten beendigte, zeigt seine berühmte
Mona Lisa im Louvre (II, 4). Mit Hilfe
dieser Behandlungsweise konnte erst die volle Einheit
der Figuren mit dem Raum, in den sie hineingestellt
sind, erzielt, in der Modellierung des
Fleisches aber jene Mannigfaltigkeit der Abstufungen
wiedergegeben werden, welche im Gegensatz
zu der abkürzenden und vereinfachenden Behandlungsweise
der vorhergehenden Zeit erst den
Eindruck der vollen Naturwahrheit und Lebendigkeit
erweckt.
Mit diesem neuen Verfahren war also der letzte
Schritt zu einer vollständigen Befreiung der Kunst
von jeder Konvention gethan und der Weg zur
vollen Naturwahrheit, die die entwickelte Kunst von
der noch in Vorbereitung begriffenen unterscheidet,
eröffnet. In Mailand, wo Lionardo die beiden letzten
Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts verlebte, vermochte
er wenig unmittelbare Nachfolge zu erwecken; als er
aber nach 1500 nach Florenz zurückkehrte und dort
im Wettkampf mit Michelangelo sein höchstes Können
entfaltete, brach er mit einem Schlage seiner neuen
Kunstweise Bahn. Fra Bartolommeo schloss sich
ihm an, diesem folgte der jugendliche Raffael, bald
darauf auch der mit ausserordentlichem Farbensinn
begabte Andrea del Sarto; und wie mit einem Schlage
sah sich das ganze übrige Italien in diese Bewegung
hineingezogen.
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