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Carlo Crivelli.
CARLO CRIVELLI nimmt in der Geschichte
der venetianischen Malerei der zweiten Hälfte
des XV. Jahrhunderts eine ganz ähnliche Stellung
ein, wie in der Florentiner Kunst des beginnenden
Quattrocento Fra Angelico von Fiesole, der Giottos
grosse Affektschilderung einseitig
nach dem Ausdrucke zarter Gefühlsinnigkeit
weiterentwickelt. Fast unbekümmert
um die gewaltige künstlerische
Bewegung um ihn setzt
Crivelli die Traditionen der älteren
venetianischen Malerschule fort und
bildet die Grundeigentümlichkeiten
ihres Stils in Einseitigkeit, aber mit
grösster Meisterschaft in der Ausführung
zu einer ganz eigenartigen
und höchst anziehenden Kunstform
aus.
Die Lust der alten venetianischen
Maler am Farbenglanze, an
Entfaltung reichster Pracht in der
architektonischen Umgebung, in
Stoffen, Schmuck und Ornamenten
wurzelt im Charakter des Volkes
der Lagunenstadt, dessen Farbensinn
und Farbenfreudigkeit durch
den milden goldigen Glanz des von
der Feuchtigkeit der Atmosphäre
gedämpften, tausendfach im Meer
wiederspiegelnden Sonnenlichtes angeregt
und geschärft wurde, das
durch die Politik seiner Regierung
wie durch den Einfluss des orientalischen
Lebens gewöhnt war, jede
Art der Feierlichkeit in erster Linie
in äusserer Prachtentfaltung Ausdruck
finden zu sehen. Die Malerei
ist in Venedig ursprünglich eine
wesentlich dekorative und eine
ceremonielle Kunst, die durch die
ruhige Würde der charaktervollen
Heiligengestalten, die Schönheit ihrer
Erscheinung, die Pracht ihrer Gewandung und ihrer
Umgebung im naiven Beschauer eine feierliche, festliche
Stimmung hervorzurufen strebt. Sie hat uns in
den prachtvoll mit Skulpturenschmuck, Gold und
Farben ausgestatteten, reich gerahmten Altargemälden
Antonio Vivarinis und seines Genossen, Johannes
Crivelli, Die hl. Magdalena.
Auf Holz, h. i.52, br. 0.49. — Berlin
Kgl. Gemäldegalerie.
des Deutschen, Meisterwerke hinterlassen, die auch
heute noch auf den Unbefangenen jene von ihren
Schöpfern beabsichtigte feierliche Wirkung ausüben.
Sie führt uns vor die festliche Versammlung des
himmlischen Hofstaates, in der die Madonna in königlichem
Prunk, umgeben von dem
glänzend geschmückten Gefolge
der Heiligen, thront. Die norditalienische
Kunst jener Zeit trägt,
der politischen Gestaltung dieser
Landschaft entsprechend, einen
durchaus höfischen Charakter, ganz
im Gegensatze zu der demokratischen
Kunst der toskanischen Republiken
. Dort sucht der künstlerische
Geist sich voll Energie von
jeder Konvention zu befreien und
in die Tiefen der psychologischen
und dramatischen Charakterschilderung
einzudringen, hier strebt
er, phantasievoll träumerisch die
äussere Erscheinung des wirklichen
Lebens künstlerisch auszugestalten
und poetisch zu verklären.
Von dem repräsentativen Prunkbilde
, in dem die unbefangene
Naturbeobachtung und Schilderung
nur schüchtern sich in einzelnen
Zügen auszudrücken wagt, geht die
folgende Generation der individuell
empfindenden venetianischen Maler,
vor allem Giovanni Bellini, zum
Stimmungsbilde über, in dem der
Ausdruck der Empfindung nicht
mehr bloss durch äusseren Glanz,
sondern durch eine dem poetischen
Inhalte entsprechende Harmonie
der Farben vertieft und verstärkt
wird. Crivelli hingegen bleibt den
alten Ideen treu, er steigert den
weihevollen Glanz des Ceremonien-
bildes der alten Vivarini in den
Gebärden religiöser Hingebung, in der Glut der
helleuchtenden Farben, in der Pracht der Gewänder
und jeglichen Schmuckes zu einem wahren
Jubelhymnus in Farben von einem polyphonen
Glanz und einer Intensität der Töne, wie sie
seitdem kaum wieder erreicht worden sind. Crivelli
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