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Gaudenzio Ferrari.
DIE Gemälde - Galerie der Brera zu Mailand ist
keine der glänzendstenltaliens. Es mag das damit
zusammenhängen, dass die mailändische Malerschule
nie eine Führerrolle gespielt hat. So fehlen denn
den Sammlungen der lombardischen Hauptstadt jene
reichen Schätze, die einem Museum in Venedig oder
Florenz wie von selber aus der nächsten Nachbarschaft
zufallen mussten. Immerhin birgt auch die
Brera eine Reihe von Meisterwerken
ersten Ranges,
genug, um nach berühmten
Mustern mit ihnen einen
Ehrensaal zu schmük-
ken, das Hauptziel, manchmal
auch das einzige Ziel
für flüchtige Besucher.
Hier findet man einige
der grössten Namen der
italienischen Kunst und
kaum ein Bild, an dem nicht
ein verwöhnter Geschmack
sein Genüge haben könnte.
Vielleicht indessen ergeht
es dabei manch einem so,
wie es seiner Zeit dem
Schreiber dieser Zeilen ergangen
ist. Immer wieder
wandern seine Augen von
Raffael, Leonardo, Luini
und Mantegna zurück zu
einem Madonnenbilde, das
keinen so hochtönenden
Gaudenzio Ferrari. Madonnenkopf.
der Menge erröten. Und wie zierlich ist sie geschmückt
in dem feingefalteten gestickten Hemde,
in dem kirschroten Seidenkleid und dem grossen
blauen Mantel mit dem schönen grünen golddurchwirkten
Futter! Nein, sie sitzt schon zu Recht auf
ihrem Throne und trägt einen Heiligenschein, w7enn
wir es auch kaum glauben mögen, dass der muntere
Krauskopf auf ihrem Schosse dazu bestimmt ist,
das Leid der Welt auf
sich zu nehmen. — Es
giebt viele stolzere und
schönere Madonnen als
diese, aber keine, die so
liebenswürdig wäre.
Das Bild sticht merkwürdig
von seiner Umgebung
ab. Es ist, wie ich
glaube, im zweiten Jahrzehnt
des Cinquecento in
Piemont gemalt worden,
aber es liegt etwas darin,
das nicht in die italienische
Hochrenaissance passt, etwas
, das sich überhaupt
nicht mit unseren Begriffen
von Italien und italienischem
Wesen verträgt.
Dies schwer zu definierende
Etwas liegt eher
als in Form und Farbe
in der Empfindung, von
der das ganze Bild durchNamen
trägt. Unter den Ausschnitt aus einem Fresko. Vercclli, S. Cristoforo, Marienkapelle. drutlgen ist. _ Der Maler
schweren Falten eines braunen
Damastvorhanges sitzt da eine allerliebste
junge Mutter, die einen kräftigen Buben auf ihrem
Schosse hält. Seidenweiche goldblonde Locken entquellen
in reicher Fülle ihrem Schleier und fallen
über ihre Brust. Sie ist nicht von schlankem königlichen
Wuchs ; die grossen Hände, das breite Oval
ihres Gesichtes verraten die Frau aus dem Volke.
Aber ihre derbe Gesundheit ist eigentümlich veredelt
durch einen Ausdruck von Weiblichkeit und Reinheit
. Mit einer unbeschreiblichen holden Scham-
haftigkeit neigt sie das Haupt zur Seite und schlägt
die grossen dunkeln Augen nieder, als müsste sie
auf ihrem Throne in aller Pracht unter den Blicken
des Bildes hiess Gaudenzio
Ferrari. — Den allermeisten Kunstfreunden, die in
den grossen Galerien Europas wohl bewandert sind,
ist dieser Name ein leerer Schall. Man erinnert sich
wohl dunkel, hie und da, in London, Paris oder
Berlin einem Werke seiner Hand begegnet zu sein,
aber keinem, das einen tiefen Eindruck zurückliess.
Auch die Brera enthält noch einige Gemälde
Ferraris, die neben dem Zauber jener Madonna
nicht von ferne bestehen können. Wenn nun aber
der Kunstfreund, angeregt von dem Widerspruch
solcher Leistungen, dem Künstler nachgeht, wenn
er nicht nur die Kirchen und Paläste Mailands,
sondern auch die kleineren Städte der angrenzenden
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