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Erzählungen Johann Peter Hebels
Aus dem Schatzkästlein eines oberrheinischen Kalendermannes
Zur Einführung
Der Name des oberrheinischen Mundärt-
dichters und Volkserzählers Johann Peter
Hebel hat auch heute noch im Elsass guten
Klang. Dieser Klassiker volkstümlicher Erzählungskunst
hat die schwierigste Aufgabe
, die sich ein Schriftsteller setzen kann,
aufs glücklichste gelöst, die Aufgabe nämlich
, dass er zugleich den Gebildeten wie
den Ungebildeten, das Alter wie die Jugend
vollständig befriedige. Welch eine reiche
BiHdung, welche Tiefe des Gemüts, welche
Schärfe der Beobachtung, welche Liebe zum
Volk, welch hohe Kunst der Darstellung
setzt dies voraus! Bei Hebel ist alles wahr,
natürlich, ungesucht. Der Humor, der seine
Erzählungen beseelt, ist nicht der Humor
des Gebildeten und Gelehrten, sondern der
natürliche, lebendige witzige Humor des
Volkes, der aus der Tiefe des Gemütes
gleichsam unwillkürlich hervorbricht. Kein
Wunder, dass Hebel, der vom benachbarten
Baden aus seine Kalemdergesichichten 1807
bis 1814 in einem vorbildlichen Valkskalen-
der unter dem Titel »Der Rheinlländische
Hausfreund« unter das Volk hinaussandte,
auch im Elsass sehr populär geworden ist.
Dieser Volkserzähler, dessen Wiege in
der alemannischen Dreiländereoke stand,
wo Baden, daa Elsass und die Schweiz sich
finden, war mit dem Elsass innigst, auch
durch freundschaftliche Bande verbunden.
Basel ist sein Geburtsort, Hausen im benachbarten
badischen Wiesental sein Heimatsort
, in Schwetzingen ist er am 26. September
1826 gestorben. Schon zu Lebzeiten
hatte Hebel im Elsass viele Freunde und
Bekannte. Die elsäsisischen Dichter Pfeffel,
Arnold, Bhrenfried Stöber z. B. waren mit
ihm herzlich befreundet. In des letzteren
»Alsatischem Taschenbuch« standen zuerst
manche der schönsten Dialektgedichte Hebels
, die ja sprachlich den elsässischen
Mundarten anverwandt sind und sich mit
der Mundart im südlichen Streifen des Elsass
nahezu decken. In regstem Briefwechsel
stand Hebel besonders mit seinem
Strassburger Freundeskreis, dessen Mittelpunkt
die Familien des Goldschmieds Chr.
H. Haufe, des Advokaten Daniel Weiler,
des Arztes Theodor Bockel, des Buchhändlers
Kammerer und desi Baumwollfabrikanten
Daniel Sehneegans bildeten. Durch diese
Freunde gewann Hebel Strassburger
Künstler als Mitarbeiter für seinen Kalender
, so den Maler und Zeichner Benjamin
Zix, der die Kupfer zur 3. Auflage der »Alemannischen
Gedichte« (1806) besorgte, und
den Holzschneider Hegi,der für den »Rhein-
ländischen Hausfreund« arbeitete.
Die Pflege der deutschen Muttersprache
im Elsass lag Hebel besonders1 am Herzen.
Ende des Jahres 1805 schrieb er z. B. an
Daniel Schneegans in iStrassiburg folgende
Mahnung: »Für Ihre Kinder, die Ihnen Gott
erhalten möge, will ich eine gute Fürbitte
einlegen. Lehren Sie zuerst die angeborene
Muttersprache, und am liebsten im häuslichen
heimischen Dialekt sprechen; mit der
fremden ist's noch lange Zeit. Sollen Ihre
Söhne an Herz und Sinn wie Vater und
Mutter werden, so ist das Französische
nichts nutz dazju. Nichts für ungut, wenn
ich für jemand zu viel gesagt habe.«
In Mülhausen erzählte man noch lange
nach Hebels Tod, wie er anno 1818 im Gasthof
zum »Roten Löwen«, wo er abgestiegen
war und als fremder Gast auf Einladung
an einer dort gerade stattfindenden Hochzeitsfeier
teilnahm, die ganze Hochzeitsgesellschaft
ergötzte und schliesslich den
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