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Finster war es in den
Strassen. Spärliches Laternenlicht
Hess die
Strassenflucht erraten.
Massigen Schrittes kam
der Ratschreiber Henri
Werner des Weges. Es
war gegen zehn Uhr, und
sein Terteleklub hatte soeben
seine Tätigkeit eingestellt
. Während er sich
überlegte, welch' amüsanten
Böcke der Schamba-
diss wieder « geschnellt »
hatte, zum Ärger seines
Partners natürlich, da glitt
ein behäbiges Schmunzeln
über sein sympathisches
Gesicht — er gehörte ja
zur Gegenpartie und war
so der Mitnutzniesser dieser
Unaufmerksamkeit.
Da bemerkt er in einiger
Entfernung eine dunkle
Gestalt, die sich an
einer Haustüre zu schaffen
macht. « Noch etwas
früh für Diebe », denkt er
und beschleunigt seine
Schritte. «Eine Dame,
stellt er verwundert fest;
und wie er ihr nahe ist,
entschlüpft es ihm halblaut
: « Mamsell Lydia ! »
Sie sieht zu ihm auf; ihr
freundliches Gesichtchen
hebt sich kaum ab
vom nächtlichen Dunkel.
« Mlle Waller », sagt er
freundlich, «das Schloss
ihrer Haustüre scheint
eine Panne zu haben ! »
« Sieht beinahe so aus,
Herr Werner ! Was denken
Sie von mir, mich so
spät noch allein in den
Strassen zu sehen ? »
« Alles Gute, Mlle Waller
, nur Gutes. Wo fehlt
es denn? Darf ich behilflich
sein ? »
Ausgesperrt
« Meine Freundin Deni-
se konnte mich heute
nicht ins Cinema begleiten
. Ich habe absichtlich
die Vorstellung vor
Schluss verlassen, als
schwante mir etwas. Da
hat Denise nun den
Schlüssel inwendig stekken
lassen...»
«und Sie kriegen ihn
nicht heraus ! Darf ichs
vielleicht versuchen ? Das
heisst, wenn Sie mir nicht
zumuten, dass ich mich
mit ihrem Schlüssel davon
machen könnte ! »
« Aber, Herr Werner ! »
« Also, bitte ! » Und er
versuchte nun ebenfalls
mit allen möglichen Kniffen
den Schlüssel im
Schlosse so zu drehen,
dass er ihn hinausdrücken
und sodann die Türe auf-
schliessen könnte. Verlorene
Mühe !
« Ich habs, Mademoi-
selle Lydia! » stösst er
plötzlich freudig hervor
und will sich davonmachen
.
« Meinen Schlüssel erst!»
sagt sie bang.
« Ach so », lacht er.
«Und was haben Sie
eigentlich vor, Herr Waller
? »
« Das beichte ich Ihnen
nächstens, Mademoiselle
Waller. Einstweilen laufe
ich ins nächste Restaurant
und läute Mademoiselle
Denise telephonisch an.
Zum Glück besteht hier
ein Nachtdienst. Ach ja !
Ich habe den Kopf verloren
! Hat sie überhaupt
das Telephon ? »
« Ja.»
Welch Glück! Ja, da
sollte ich auch die Nummer
wissen und — natürlich
auch ihren Namen ! »
« Und noch etwas haben
Sie sich nicht überlegt,
Herr Werner ! »
« So ? »
«Wenn Denise eine
Männerstimme am Fernsprecher
hört, was glauben
Sie, dass sie tun
wird ? »
«Mademoiselle Lydia,
Sie denken wie ein Kriminalpolizist
. Aber, seien
wir logisch, dann müssen
Sie schon selber mit ins
Restaurant kommen. »
«Was werden aber die
Leute von uns denken ? »
«Das werde ich Ihnen
auch später verraten.
Einstweilen gibt es kein
besseres Mittel. Wie wollen
Sie Ihre Freundin
sonst wecken, die ihr
Schlafzimmer gewiss dem
Hofe zu hat. Sie aber
können nicht auf der
Strasse bleiben. »
Was wollte, was konnte
sie anders tun ? So
gingen sie raschen Schrittes
dem Restaurant zu.
Henri bestellte ein Gläschen
Likör und für sich
ein Glas Bier, dann geleitete
er Mlle Waller zur
Telephonzelle. Es ging
ziemlich lange, bis sie
zurückkam. «Die schlief
einen festen Schlaf », berichtete
sie, « und brauchte
eine geraume Weile bis
sie begriffen hatte. Bis ich
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