Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 5. Band.1902
Seite: 48
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^25> KUNSTLITTERATUR -C^M^

schreibt überhaupt kunstgeschichtliche Werke in
höherem Sinne; und wie wirken die vorhandenen
gegen die von Muther? Solange keine besseren
da sind, hat Muther ein Recht auf Anerkennung,
besonders auf die des Publikums, dem von ihm
zum erstenmale Gelegenheit geboten wird, sich
mit einem Teil der neueren Kunstgeschichte bekannt
zu machen, der nicht weniger wichtig genommen
zu werden verdient als die Renaissance. Muther hat
— das braucht nicht verschwiegen zu werden —
den reichen Stoff nicht mit gleichmässiger Vertiefung
behandelt; aber sein Buch ist voll der neuesten und
glänzendsten Gedanken. Immer sucht er die Vergangenheit
in Beziehung zur Gegenwart und zu deren
Empfindungen zu bringen. Das giebt seinem Buche
einen kulturgeschichtlichen Wert, der nicht von der
Haltbarkeit der darin niedergelegten Kunsturteile abhängt
. Und andererseits hat die Rücksichtslosigkeit,
mit der die meisten von diesen gefällt werden, auch
für den, der andere hat, einen grossen Reiz, weil
Subjektivität immer klärend wirkt. Und selbst das
muss Muther als Vorzug angerechnet werden, dass er
sich nicht auf früher von ihm selbst geäusserte Meinungen
steift, sondern sie seinen klarer gewordenen
Anschauungen gemäss berichtigt oder gar ganz auf-
giebt. Die Muthersche Geschichte ist in jener farbenreichen
, anschaulichen Sprache, in dem eleganten,
das Temperament des Verfassers so glücklich spiegelnden
Stil geschrieben, der eines der erfreulichsten
Kennzeichen seiner Arbeiten ist. Die beigegebenen
Illustrationen sind gut gewählt, aber nur stellenweise
auf der Höhe dessen, was man für solche Zwecke
heute verlangen darf.

Durch Muthers Schaffen geht ein ausgesprochen
künstlerischer Zug. Auf ihm beruht sowohl Muthers
Fähigkeit, das Gestaltlose zu gestalten, also seine
Veranlagung zum Geschichtsschreiber, als auch
seine Neigung, sich aus einer augenblicklichen Stimmung
heraus zu äussern, und in weiterem Zusammenhange
hiermit die häufigen Widersprüche in seinen
Schriften. Muthers Künstlernatur erklärt auch seine
Unbesorgtheit in Ansehung der aus seinem Vorgehen
resultierenden Folgen; vor allem jedoch die starke
Wirkung, die er auf das Interesse und die Gesinnung
der Leser ausübt. Er lässt nie gleichgültig. Wie
wenige, die schreiben und über künstlerische Erscheinungen
schreiben, können das von sich sagen!
Die künstlerische Richtung des Muther'schen Talentes
zeigt sich vielleicht am klarsten in seinen Gelegenheitsarbeiten
, die eben jetzt gesammelt unter dem Titel
■»Studien und Kritikern im Wiener Verlag erscheinen.
(Pr. 8 M.) Der ausgegebene erste Band enthält in der
Hauptsache Aufsätze, die in den beiden letzten Jahren
für die Wiener »Zeit«, die »Neue Deutsche Rundschau
«, den »Tag« und andere Organe geschrieben
worden sind. Den grösseren Raum darunter beanspruchen
die Berichte über das »Wiener Kunstleben«
und »Die Pariser Weltausstellung«, sowie die Briefe
von einer im Jahre 1900 unternommenen »Spanischen
Reise«. Das übrige sind »Gedenkblätter« für gewisse
Ereignisse, Besprechungen von »Büchern«
und »Allgemeines«. Muthers Erfolge als Kritiker
stehen in engster Verbindung mit dem Neuen, was
er in die Geschichtsschreibung brachte. Seine Fähigkeit
, die Vielheit der Erscheinungen unter eine
leitende Idee zu bringen, Wichtiges von Unwichtigem
zu scheiden und das Wesentliche in scharfer Beleuchtung
zu zeigen, seine pointierte, geistvolle Art sich
auszudrücken und eine lebhafte Neigung zur Polemik,
treten auch in seinen Kritiken als charakteristisch
hervor. Er wirkt dadurch immer künstlerisch, dass
er kein Schema kennt, sondern stets von der Art
des Gegenstandes, den er der Betrachtung näher

bringen will, ausgeht. Eine grosse Meisterschaft
in der Beherrschung der Sprache gestattet ihm schon
durch die Art, wie er etwas sagt, die Stimmung
des Lesers in Thätigkeit zu setzen. Dazu die intuitive
Sicherheit, mit der er in den Geist ganz
verschieden gearteter Kunstwerke eindringt, und
eine Kenntnis der gesamten internationalen Kunstproduktion
, die einzig dasteht und die äusserste
Höhe des Standpunktes gewährleistet. Die Fähigkeit
des Sehens ist bei Muther in besonderem Masse
ausgebildet, und sein Auge, wie seine »Spanische
Reise« beweist, nicht nur auf die Kunst gerichtet.
Bezeichnend für seine Art ist die Abwesenheit
aller feierlichen Gebärden und des dozierenden
Tones. Die Gewandheit, mit der er seine Leser
über die schwierigsten Probleme fort zu dem Kern
der Sache führt, sichert ihm von vornherein dessen
Vertrauen. Nicht der geringste Reiz von Muthers
Wirken besteht in seiner aggressiven Haltung. Nichts
und niemand ist vor ihm sicher. Er steht in der
ersten Reihe jener, die gegen falsche Ansichten
und Autoritäten, gegen unhaltbare Zustände und
überlebte Institutionen, gegen das Lahme und
Kranke auf dem Gebiete der Kunst zu Felde ziehen.
Glänzende Beispiele für sein kühnes Vorgehen
sind in diesen »Studien und Kritiken« die Aufsätze
»Das Breslauer Museum« und »Geschmacksverbildung
«. Nicht weniger temperamentvoll aber weiss
er für das einzutreten, was ihm gut und fördersam
zu sein scheint. Wer noch nie etwas von Licht-
wark gehört hat, wird mit Begierde nach dessen
Schriften greifen, wenn er Muthers köstlichen Essay
»Makartbouquet und Blumenstrauss« gelesen hat,
in dem die Persönlichkeit Lichtwarks so wunderbar
charakterisiert ist. In Aufsätzen dieser Art und in
seinen wie Improvisationen wirkenden Bücheranzeigen
kommt das künstlerische Moment in Muthers
Schaffen am greifbarsten heraus. Das ganze Genre
erscheint durch ihn von einer Beschäftigung zu
einer Kunst erhoben. Das werden auch jene zugestehen
müssen, die mit der Tendenz der Muther-
schen Schriften nicht einverstanden sind. Aber auch
die Tendenzen Muthers verdienen keine Ablehnung.
Gottlob, dass jemand eine eigene Ansicht und Meinung
hat und dazu den Mut, sie klipp und klar auszusprechen
! Die sogenannte »objektive Kritik« trägt
ja Schuld daran, dass die Kritik das ödeste Gebiet
im Reiche der deutschen Litteratur vorstellt, und
das Zeichen der Langenweile im Wappen führt.
Wenn man sich gegen die akademische Kunst erklärt
, ist es lächerlich, die akademische Kritik verteidigen
zu wollen. Wie jene keine hinreissenden
Kunstwerke, bringt diese bei dem Leser keine lebhaften
Eindrücke und Empfindungen hervor. Der
Kritiker ist auch nicht für einen engen Kreis von
Gelehrten da, sondern für das grosse Publikum.
Dieses zum Genuss und Verständnis der Kunstwerke
anzuregen, ist seine Aufgabe. Niemals aber
hat jemand das Publikum zu etwas bekehrt, ohne
ihm als Persönlichkeit interessant geworden zu sein.
Von einer solchen Objektivität verlangen, heisst den
Begriff nicht verstehen. Es giebt auf keinem Gebiet
menschlicher Bethätigung eine Weiterentwicklung
ohne Persönlichkeiten. Die Kritik macht hiervon
keine Ausnahme, und darum liegt der triftigste
Grund vor, anzuerkennen, dass Richard Muther trotz
seiner Schwächen, die ihm seine Neider nachrechnen
mögen, der Kunstkritik neue Bahnen gewiesen und
an deren Verbesserung kräftig und erfolgreich mitgearbeitet
hat. Sein neuestes Buch wird Fernerstehenden
die Empfindung davon aufs glücklichste
übermitteln.

Hans Rosenhagen

Redaktionsschluss: 4. September 1901. Ausgabe: 3. Oktober 1901.

Herausgeber: Friedrich Pecht. — Verantwortlicher Redakteur: Fritz Schwartz.
Verlagsanstalt F. Bruckmann a.-g. in München, Nymphenburgerstr. 86. — Druck von Alphons Bruckmann, München.


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