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~^ö> VON AUSSTELLUNGEN <ös^
ARNOLD BÖCKLINS NACHLASS
ist gegenwärtig in Ed. Schuttes Berliner Kunstsalon
ausgestellt. Bei der ausserordentlichen Bewunderung,
die dem grossen Meister schon bei Lebzeiten entgegengebracht
wurde, kann es nicht überraschen, dass
der einige zwanzig Bilder und Skizzen umfassende
Besitz der Familie Böcklin nur wenige wirklich impor-
tante Werke noch enthält. Man sieht aber auch die
minder wichtigen Arbeiten eines so gewaltigen Künstlers
mit Ehrfurcht an, weil sie das Bild seiner Persönlichkeit
ergänzen helfen. Sicher ist freilich, dass
ein grosser Teil dieser Ergänzung auf der Seite der
Technik liegt, also vom grossen Publikum gar nicht
gewürdigt werden kann. Dieser Schaden wird jedoch
dadurch aufgewogen, dass es bei dieser Gelegenheit
Werke zu sehen bekommt, die man zwar aus den
schönen Photogravüren des grossen, vierbändigen
>Böcklinwerkes« kennt, die man jetzt aber auf ihre
farbige Wirkung hin zum erstenmale prüfen und beurteilen
kann. Dahin gehören vor allem das Porträt
der Frau Clara Bruckmann, das »Melancholie« betitelte
Bildnis der Frau Kopf und das 1861 in Weimar
entstandene Selbstbildnis des Künstlers. Die uneingeschränkte
Teilnahme der Besucher erregen
ausser diesem Selbstbildnis es ist übrigens
auch in Heft 1 des laufenden Jahrgangs der »K.
f. A.« abgebildet — ein Bildnis der Frau Böcklin,
1866in Rom entstanden, ein Brustbild auf weissem
Grunde, im Profil gesehen, das dunkle Haar der
Dargestellten in einem Netz aus roter Chenille;
ein grosses Bild »Malerei und Dichtung« und eine
wundervolle Skizze zu der hier gleichfalls vorhandenen
»Jagd der Diana«, 1896 in Florenz gemalt.
Das zeichnerisch sehr durchgebildete Porträt der
schönen Gattin, um deren festgeschlossenen Mund
ein sorgenvoller Zug zu spüren ist, gehört zu den
bedeutendsten Schöpfungendes unvergleichlichen
Künstlers. Welche ausdrucksvolle Persönlichkeitsschilderung
und wie fein die malerische Pointierung
durch das von dem weissen Malgrunde
durchfeuerte Rot in dem reichen schwarzen Haar!
Das Bild »Malerei und Dichtung« hat herrliche
Einzelheiten. Die Beinpartie der die Dichtung
verkörpernden weiblichen Gestalt ist in der Stellung
sehr viel glücklicher, die Bewegung der die
Hand am Springquell netzenden Malerei viel lebhafter
, heiterer und freier als auf dem Breslauer
Bilde. Dagegen giebt die Säulenhalle, die das hiesige
Bild abschliesst, mit dem wuchtigen Braunrot
ihrer Porphyrsäulen dem Ganzen etwas Schweres.
Umso köstlicher ist die Landschaft die sich dahinter
in Sonnenpracht dehnt. Diese Landschaft,
das bläulich schimmernde Brunnenbecken und die
in ein lichtblaues Gewand gehüllte Erscheinung
der Malerei gehören ebenfalls zum schönsten,
was Böcklin gemacht. Der Kopf der Dichtung ist
leider arg verquält und die Marmorstufen die zu
dem Quell führen, sind als Material nicht so
charakterisiert, wie Böcklin dergleichen zu thun
pflegte. Die Skizze zur »Jagd der Diana« hat
fast die Frische einer Naturstudie. Sie übertrifft
das Bild sowohl in der Kraft der Farbe,
wie in der Stärke der Stimmung. Sie ist den
besten frühen Landschaften des Künstlers an
die Seite zu setzen, nur dass sie grösser in
der Empfindung, freier und farbiger ist. Den
seinen eigenen Ideen nachgehenden grossen
Künstler sieht man aber auch bei vielen anderen
Werken. Welch kühner malerischer Einfall
, den sonnenbeleuchteten Kopf der »Judith«
und die Karaffe mit rotem Wein, die sie mit
einem Glase auf einem Tablette trägt, gegen den
lichtvollen blauen Himmel zu setzen! Böcklin hat
damit ein unglaublich schwieriges Problem angerührt
und fast in der Weise der Impressionisten
zu lösen versucht. Da ist die »Calypso«, 1888 begonnen
und unvollendet geblieben, bei der man sieht,
wie Böcklin zwei starke Farben, ein braunrotes Gewand
und einen blauen Himmel ins Bild stellt und
ihre Glut zu steigern oder nach Bedarf durch andere
Farben zu dämpfen sucht. Da ist der »Paulus«,
dessen Mantel das leuchtende Rot trägt, das der
Künstler auf Rogiers Bildern so bewunderte, da ist
das unvollendete Bildnis Gottfried Kellers, das die
merkwürdigsten Ansätze zu einer neuartigen Farben-
gebung zeigt, da ist endlich die Skizze zu des
Künstlers grossem »Krieg«, in der bereits die
ganze Wucht des künftigen Bildes beschlossen
liegt. Bei den übrigen Bildern ist manches miss-
lungen, aber selbst die Irrtümer eines Genies
gelten mehr als die Korrektheiten des Durchschnittsmenschen
. Die Ausstellung kann den
Ruhm Böcklins nicht vermehren, sie ruft den
Verehrern des Unsterblichen nur noch einmal ins
Gedächtnis, wie er war und was sie an ihm verloren
haben. H. R.
F. KALLMORGEN c « STUDIE ZU DEM BILDE
„DER BRIEF AUS AMERIKA"
Uie Kunst für Alle XVII.
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