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VON AUSSTELLUNGEN >C^^
XII. Ausstellung der Wiener Secession
Saal Toorop
DIE WIENER SECESSION
Eine bewusste, scharf bestimmte, genau umgrenzte
Physiognomie weist wieder die XII. Ausstellung
der Wiener Secession auf. Die Vereinigung
verfolgt ja seit ihrem Bestände ein erziehliches
Ziel, das ist, ihr Publikum nach und nach
mit allen künstlerischen Enunciationen der Jetztzeit
vertraut zu machen, einen breiteren Horizont der
Anschauung, des Begreifens zu vermitteln und zu
zeigen, wie sich die Marken der Kunst geweitet
haben. So pflegt die Secession ihren Darbietungen
meist eine nationale Umgrenzung zu geben. Diesmal
weht Nordlandsluft. Wir treten der skandinavischen
, russischen und finnländischen Kunst nahe.
Die einzigen Persönlichkeiten, welche aus diesem
Rahmen heraustreten, sind der Schweizer Künstler
Hodler und der Holländer Toorop. Gleich der
erste Saal vereint Hodler mit Dänen, Schweden
und Norwegern. In dieser Zeitschrift sind
wiederholt so erschöpfende Charakteristiken der
skandinavischen Künste erschienen, dass eine eingehendere
Kritik ganz überflüssig ist. Mag die
feine aristokratische Manier der Dänen, die sinnlich
lebendige Art der Schweden, oder die dunkle,
herbe und gewaltige Weise der Norweger in ihren
Werken sich ausdrücken, immer fühlt man die grosse
Kulturhöhe dieser Völker heraus. Die Typen der
Menschen sind geklärter, gefestigter als bei uns —
und die Beziehungen zur Natur sind reicher, be-
wusster, bedeutungsvoller. An den skandinavischen
schliesst sich ein russischer und ein finnländischer
Saal. Hier hat die Secession seltenes Material zusammengetragen
. Gewöhnlich leiden die Beschickungen
der internationalen Ausstellungen sehr darunter
, dass sie offiziell sind. Nun ist die offizielle
Kunst selten der echte Ausdruck nationalen Empfindens
und Könnens. Die » daneben « Stehenden
sind meist die Echten, welche das Wesen ihres
Volkes am tiefsten erfassen und ihm Kunstausdruck
geben. So stellt das in seiner Heimatsliebe
so tief getroffene Finnland nie korporativ mit Russland
aus. Hier aber, als geschlossene, nationale
Erscheinung, treten sie in vollster Unabhängigkeit
auf. Den russischen Saal beherrscht — Korowine.
Er hat im russischen Ausstellungs-Pavillon (Paris
1900) Friese gemalt, welche das Werden und Wirken
, das Schaffen und Treiben des russischen
Volkes schildern. Ein ethnologisches Epos ! Diese
Friese sind nun hier ausgestellt. Leider ist der
Raum zu klein, um den grossartigen Eindruck
dieser in die Architektonik hineinstilisierten Schöpfung
zu voller Wirkung gelangen zu lassen. Aber
wie grosszügig spricht die Natur aus diesem Werk.
Grau und braun getönt streckt sich der weite in
Urkraft strotzende Wald, die arktischen Landschaften
. Ein Hauch der Unberührtheit durchzieht die
Weite und auch die Tiere, die da hausen, die Menschen
, welche nach fernen Fernen wandern — alles
Lebendige hat etwas Ehernes, nach ewigen Gesetzen
willenlos Forttreibendes. Dekorativ im besten Sinn
des Wortes sind diese Friese, denn durch ihre
synthetische Bedeutung dem unmittelbaren Leben
entrückt, bilden sie Stilisierungen, welche die Architektur
rhythmisch ergänzen. Meist Landschaftsbilder
sind sonst noch von den Russen da. Ryloff,
Pourvit, Roehrich sind Künstler, deren Pinsel
die schwermütig sehnende, leidenschaftlich verhaltene
Empfindungsnote ausdrückt, welche auch der
russischen Litteratur ihr Gepräge giebt. Constan-
tin Somoff übersetzt die süsse Schwärmerei One-
ginscher Romantik in zwei duftig gemalten Bildern
(»Weisse Welt« — »August«). - Eine sehr eigene
Physiognomie zeigt Wroubel. Sein > Pan« mit
dem moosigen Haupt und Barthaar ist knorrig wie
eine Eiche. - Die skandinavische und russische
Kunst bringen ihre Eigenart gewiss voll und ganz
zum Ausdruck. Finnland aber wirkt noch unendlich
stärker durch die elementare Gewalt, mit
der volkliches Empfinden mächtig aus ihren
Kunstschöpfungen hervorquillt. Nur einem unterdrückten
Volk entringt sich so heisses Fühlen; nur
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