Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 5. Band.1902
Seite: 205
(PDF, 174 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_05_1902/0239
KGL. NATIONALGALERIE ZU BERLIN

funden, das verhinderte die durchaus persönliche
Art der malerischen Gestaltung, an
die sich das Publikum erst gewöhnen musste.
Kein anderer moderner Maler auch ist so
sehr das Opfer des kopierenden Dilettantismus
geworden. Dieser geht aber nur auf
den interessanten Inhalt, da ihm die Feinheit
des malerischen Ausdrucks unerreichbar
ist. Bilder, deren Reiz eben darin besteht,
wie diejenigen von Leibi, Liebermann oder
Monet, haben Dilettanten noch nie gereizt.
Nun ist nicht zu leugnen, dass Böcklins
unerschöpflich fliessende Erfindungsgabe, die
poetische Inspiration, die reiche Skala von
Gemütsstimmungen, über die er verfügt, so
überwältigend wirken, dass daneben die häufig
mit primitiven Mitteln arbeitende malerische
Darstellungsweise in den Hintergrund gedrängt
wird. Immerhin ist diese das Wesentliche
für die Fassung und Umgrenzung der
besonderen künstlerischen Individualität, über
deren Wesen das Gegenständliche zunächst
gar nichts aussagt.

Doppelt wichtig ist, dass gerade für die
„Gefilde der Seligen", in die so tiefsinnige
Beziehungen hineingeheimnist wurden, unzweideutige
Kundgebungen des Meisters darüber
vorliegen, welcher Art die Triebfedern
seines künstlerischen Schaffens gewesen. Guido
Hauck hat in einem sinnreichen Büchlein
nachzuweisen versucht, dass Böcklin die Anregung
zu seinem Bild in ein paar Versen
der klassischen Walpurgisnacht im zweiten
Teil des „Faust" gefunden habe, wo der
weise Kentaur Chiron dem Faust erzählt,
wie er einst auf seinem Rücken die Helena
über den Peneios getragen. Unmöglich wäre
ein solcher Zusammenhang nicht, da Böcklin
wiederholt seine Gegenstände Dichterwerken
entlehnt hat. Indes ist zu bemerken, dass
das Bild keines ist, das etwa durch eine
Aufführung des Dramas in die Erscheinung
träte, sondern nur durch die Worte des Chiron
geweckt wird, aber auch dieses deckt sich
in keiner Weise mit der malerischen Darstellung
. Vollends die Behauptung, der Künstler
gäbe uns eine freie Illustration einer einzigen
Scene des Faustgedichtes und lasse
aus ihr die Gesamtidee des gewaltigen Dramas
wiederstrahlen, steht durchaus im Widerspruch
zu der sich in der bildlichen Anschauung
erschöpfenden Kunst des Meisters.
Böcklin soll überdies selbst bestätigt haben,
dass er bei dem Gemälde „an Goethes Faust
nicht gedacht hätte"; Goethe und ihm hätte
dasselbe vorgeschwebt: die Ufer des Arno.
Und damit stimmt gut, dass, wie Jordan berichtet
, nicht einmal der Titel „Gefilde der

Seligen" von dem Maler herrührt, obwohl
er ihn willig acceptiert hat.

Also: der Eindruck eines bestimmten landschaftlichen
Motivs drängt ihn zur Gestaltung
, bei der ihn als Hauptsache leitet, dass
der Beschauer den Raum fühlen soll. Zu
diesem Zweck schafft er sich dann noch die
Staffage, möge sie in mythologischen Fabelwesen
, in antiken Kriegern, Priestern oder
Bacchanten oder in badenden Florentiner
Jungen bestehen. Eine erzählende Absicht
liegt ihm dabei immer oder doch fast immer
fern. Man wird mehr oder weniger deutlich
diese raumbildende Funktion stets nachweisen
können. Dem widerspricht durchaus nicht,
dass er, wie es in einem anderen Brief Böcklins
heisst, seine Hauptaufgabe der Durchführung
darin sieht, „den Charakter der
Figuren mit dem der Umgebung so in Einklang
zu bringen, dass eins zum Ausdruck
des andern wird". Wie sie schon körperlich
mit ihrer Umgebung zusammen die Vorstellung
des Raumes wirken helfen, so ist auch
in ihren geistigen Beziehungen diese Tiefenrichtung
häufig deutlich ausgesprochen, die
den Beschauer mit Gewalt hinein in die
Ferne zieht. Gerade in der Florentiner Zeit
bildet er die Staffage immer mehr in diesem
Sinne aus.

In unserem Bilde ist es in erster Linie
der Kentaur mit seiner Last, dem diese Aufgabe
der Raumsuggestion zufällt. Seine rein
physische Einwärtsbewegung wird geistig aufgenommen
und aufs höchste gesteigert in
dem Ausdruck sehnlichen Verlangens, mit dem
das Weib auf seinem Rücken, die Lockungen
der Sirenen unbeachtet lassend, nach den
seligen Gefilden strebt. Auf diesen Ton ist
der künstlerische Gedanke des Bildes gestimmt
. Indem die Sehnsucht nach dem
sonnigen Land, wo bekränzte Gestalten um
Altäre tanzen, dem Beschauer mitgeteilt wird,
soll das Gefühl für die Raumtiefe, auf das
die malerische Absicht geht, verstärkt werden
. Und da die malerischen Mittel der
Raumgestaltung jenen Eindruck erst möglich
machen, wird in der That „das eine zum
Ausdruck des andern".

Es ist lehrreich, zu sehen, wie im Verlauf
der Arbeit Böcklin seine Absicht immer klarer
fasst und prägnanter zur Erscheinung bringt.
Sehr oft hat er auch mit dem fertigen Bild
sein letztes Wort nicht gesagt. Er nimmt das
Motiv abermals auf, um dem malerischen
Gedanken eine noch zwingendere Gestalt zu
geben. Für die „Gefilde der Seligen" liegt
eine Oelfarbenskizze vor (siehe S. 204), die
schon das ganze Inventar des vollendeten

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