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-^Sg5> KÜNSTLERISCHER WANDSCHMUCK
Kunst etwas so selbstverständliches wird wie
die Natur, nicht Luxus, sondern Ehrensache,
nicht aufgeklebter Prunk, der die Nüchternheit
versteckt, sondern einfache Schönheit,
die das Zweckmässige von innen heraus adelt.
Um
Ist Erziehen eine Kunst, dann gilt auch
für den Erzieher das Wort: Bilde, Künstler,
rede nicht! Erziehen heisst gewöhnen,
und die werdende, noch biegsam weiche Seele
bilden nicht Worte, sondern die Formen des
umgebenden Lebens, die sich gleichsam in
sie abdrücken. Jene Eindrücke, die der Geist
noch unbewusst aufnimmt und die ihm, wenn
er zu vollem Eigenleben erwacht ist, als die
selbstverständlichen erscheinen, bleiben die
entscheidenden. Wir wissen es von der Musik
her: wer musikalisch empfänglich ist, ist vor
allem für gute, ernste Musik empfänglich;
und ist dem musikbegabten Kinde zur Uebung
und zum Anhören nur edle Musik geboten,
triviale und gemeine fern gehalten worden,
so bleibt das Bedürfnis seines Ohrs und das
Gehör seiner Seele für alle Zeit geadelt.
Mit der Empfänglichkeit und Empfindlichkeit
für bildende Kunst ist es nicht anders; nur
hat bisher die Erziehung das Auge als empfangendes
, die Hand als nachschaffendes
Organ der Kunst nahezu verkümmern lassen.
Dass in der Schule Choräle und Volkslieder
zur Erbauung und Erheiterung gesungen
werden und dass die Kinder angeleitet werden
, sie richtig zu singen, scheint jedem
natürlich, und es hat noch niemand darum
unsern Volks- und Mittelschulen den Vorwurf
gemacht, sie wollten nicht Handwerker
und Beamte, sondern Opernsänger und Komponisten
heranziehen. Aber ebensowenig
wollen und werden wir ausschliesslich Maler
und Bildhauer und Kunstgewerbler aus den
Schülern machen, wenn wir ihr Auge an
künstlerisch wertvolle Bilder gewöhnen und
sie lehren, die Dinge scharf anzusehen und
sauber nachzubilden. Im Gegenteil: das
Kunstproletariat wird abnehmen, wenn bei
dem sich hebenden Niveau des Zeichenunterrichts
und der durch ihn zu Tage geförderten
Leistungen nicht mehr jeder Junge, der ein
Vorlagenblatt tadellos nachzuzeichnen vermag,
als Wunderknabe angestaunt, als geborener
Künstler gepriesen und auf die nächste Kunstschule
geschickt wird.
* *
Verbesserung des Zeichenunterrichts,
künstlerischer Schmuck in Schulhaus und
Schulstube das sind die zwei Grundforderungen
der künstlerischen Erziehung,
soweit eben die Schule sich ihrer annehmen
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