Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 6. Band.1902
Seite: 98
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_06_1902/0110
-^^> LUXUSKUNST ODER VOLKSKUNST?

Schreibtische ergibt. Alles übrige ist Unfug.
Ist das nun Kunst des Mobiliars, oder ist
das gar Volkskunst? Durchaus nicht, und man
könnte kaum einen grösseren kulturpsychologischen
Fehler machen, als anzunehmen,
das Künstlerische im Handwerke der Blütezeiten
verdanke sein Vorhandensein den Notwendigkeiten
der Technik oder des Gebrauches.
Man stelle sich breitbeinig hin, und man wird
eine grössere Last sicherer tragen können, als
wenn man mit geschlossenen Füssen aufrecht
steht. Der gotische Tisch steht auch breitbeinig
da, und es ist doch gar nicht nötig.
Er trüge ebenso fest, wenn die vier Beine gerade
stünden. Wenn man die Knie biegt, so kann
man, elastisch in den Gelenken federnd, eine
Last ganz anders spannkräftig heben, als wenn
man steif steht. Der Rokokotisch steht auf
gebogenen Beinen, und diese sind doch gar
nicht nötig und überdies auch gar nicht federnd.

Nötig ist also weder die gotische noch die
Rokokotischkonstruktion; aber sie sind beide
eminent künstlerisch, denn ihre Formengebungen
leben und geben uns Lebensgefühle.
Gewiss, sie täuschen uns vielleicht etwas
vor, aber sie machen uns zugleich die funktionellen
Kräfte des Lastens, des Stützens,
des Belastetwerdens, des Tragens, des Stemmens
, des Hebens in der Konstruktion des
Tisches sichtbar. Sie machen indirekt das
Leben der Kräfte sichtbar, sie sind künstlerisch
, während der Puristentisch nichts sichtbar
macht, sondern bloss Tisch ist.

So ist auch der ganze Pankok unnötig
vom Standpunkte des „Puristen des Holz-
gefüges" aus und unkonstruktiv bis zum
Exzess; vom Standpunkte des Ausdruckskünstlers
aber ist er der interessanteste, urwüchsig
-deutscheste Konstrukteur, den wir
augenblicklich haben, und leicht wäre der Nachweis
zu führen, an wie unzähligen Punkten sich
Pankok hier mit der urältesten, derbsten
deutschen Volkskunst berührt. Wir kennen
Formen am Wagen- und Schiffsbau, die verblüffend
pankokisch sind, und doch können
wir bezeugen, dass er sie keineswegs imitiert
hat, sie oft gar nicht kennt. Sein Intellekt
arbeitet nur fast atavistisch deutsch-handwerklich
, speziell in Holz und Eisen.

Seine Konstruktionen leben intensiv und
gerade diese Intensität des „Ausdrückens"
ist es wahrscheinlich, was den reservierten
Konstruktionsnaturen auf die Nerven geht.
Wo aber die Grenze liegt, bis zu der man
mit dem Ausdrucke gehen darf, ohne gerade
durch die Hypertrophie des Ausdruckes wieder

ZEICHNUNG ZU DEM PARISER ZIMMER 1900

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