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24. JAHRESAUSSTELLUNG DER AMERICAN ARTISTS
Von P. Hann
■pvie angenehme Erwartung, mit welcher man den
Ausstellungen der jüngeren New Yorker Künstlervereinigung
stets entgegensieht, wurde diesmal
nicht getäuscht. Die jetzige 24. überragt ihre Vorgängerinnen
um ein bedeutendes und
macht einen sehr befriedigenden,
stellenweise sogar glänzenden Eindruck
. Sehr viel tragen wohl hierzu
die lange ferngebliebenen ausländischen
« Amerikaner bei, die sich
diesmal wieder am heimischen
Herde eingefunden haben. Sargent
ist mit einem sehr schmeichelhaften
Porträt des New Yorker
Millionärs Winthrop vertreten, das
wieder seine fast unheimliche Einsicht
in das Wesen des modernen
Gesellschaftsmenschen und sein
minutiöses Eingehen auf jedes Detail
, hier die sich farbig im Zylinderhut
spiegelnden Finger, aufweist.
Unfern hängt Whistler's brillante
»Andalusierin«, die schon in einer
Sonderausstellung berechtigtes Aufsehen
erregte. Von diesem Hexenmeister
ist noch ein Nachtstück vorhanden
: »Feuerwerk in der Nähe
des Londoner Krystall-Palastes«,
das dem Beschauer mit seiner
virtuosen Behandlung aus tiefster
Dunkelheit leuchtender Knalleffekte
den Atem nimmt. Vom tüchtigsten
der einheimischen Porträtmaler,
William M. Chase, ist dicht
neben diese zwei Gäste das
Bildnis des Deutschamerikaners
Windmüller gehängt, eine Arbeit,
die sich vollkommen ebenbürtig
neben Sargent und Whistler hält.
Chase versteht es, den Charakter,
die Persönlichkeit greifbar deutlich
herauszubringen; fein behandelte
Hände, die schwarze Kleidung, der
dunkelrote Samtsessel, der noch
dunklere Hintergrund, alles ist
solide und gediegen, aber es ordnet
sich der Hauptsache, dem Erfassen
des Charakters unter. Fromk.es,
ein junger Maler, dem gewiß eine
erfolgreiche Zukunft bevorsteht,
stellt ein Frauenbildnis in kühlen grauen Farbentönen,
Cecilia Beaux, die hervorragendste amerikanische
Porträtmalerin, und unstreitig eine der hervorragendsten
lebenden Malerinnen überhaupt, bringt zwei
Kniestücke von Gesellschaftsdamen, die in ihrer
pastosen, an gute Bonnats erinnernden Manier außerordentlich
wirksam sind. Ein Porträt, an welchem
niemand vorübergehen wird, ist der für die Washingtoner
katholische Universität bestimmte Kardinal
Martineiii von Thomas Eakins aus Philadelphia.
Es ist von einer geradezu brutalen Ehrlichkeit; derb,
mit groben Pinselstrichen gemalt, aber packend und
wahrhaft. Ihm entgegengesetzt ist die feine Salonmanier
, in welcher Jrving Wiles seine schöne Frau,
porter das aus Blumen förmlich herauswachsende
Kinderbild, Sergeant Kendall eine nur allzu grellfarbige
Gruppe, aus einer jungen Gesellschaftsdame
und ihren zwei Knaben bestehend, darstellen. Ein
tüchtiges, ohne besonderen Aufwand von Bravour
franz von lenbach
max von pettenkofer
oder Genialität gemaltes Bild ist das Herrenbildnis
von Carroll Beckwith.
Der Clou der Ausstellung im Porträtfach ist aber
in einem der kleinen Nebenzimmer zu sehen, wo
für gewöhnlich nur die mittelmäßigen oder die
Gemälde unprotegierter Künstler ihre Tage unbeachtet
verbringen. Aber dem Mädchenporträt
von Robert Henri wohnt eine solche Leuchtkraft
inne, daß es aus seinem Schattenwinkel dem
Beschauer wie eine Märchenprinzessin entgegenlacht
. Mit diesem Neuling wird die amerikanische
Kunst Ehre einlegen. Seit langem hat man hier
nicht solch ein einfaches, lebendiges und holdseliges
Bild gesehen. Das ist ein Kind der neuen Generation
mit ihrem kräftigenden Turnen, Schwimmen,
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