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-sr4sö> ALBERT BARTHOLOME
Bildung, eine kurze Zeit des Rechtsstudiums
hatte ihn mit wissenschaftlicher Arbeit vertraut
gemacht - - als ein fertiger Mensch verschwor
er sich der Kunst. Seine Familie
lebte damals in Genf, und hier empfing er
von einem alten Genfer Maler, Barthelemy
Menn, den ersten systematischen Unterricht.
Ein seltsamer Künstler - - aus dem Maler war
ein Moralist und ein fanatischer Erzieher geworden
, ein nachdenklicher Kopf, in vielem
unserem Hans von Marees verwandt, aber
ein kleinbürgerlicher Marees, der nach dem
höchsten Ausdruck in seiner Kunst rang.
Nur drei oder vier Monate brachte der junge
Bartholome im Banne dieses wunderlichen
Lehrmeisters zu, der noch ein Schüler von
Ingres war, ein Freund der Meister von
Barbizon, dann wandte er sich nach Paris
und arbeitete zwei Monate an der ecole des
Beaux-Arts im Atelier von Leon Geröme,
der damals siebenundvierzig Jahre alt war,
als Maler begonnen hatte, doch schon seit
dem dreißigsten Jahre gleichzeitig auch das
Modellierholz führte. Aber die kurze Lehrzeit
hat keine Spuren bei dem späteren Bartholome
hinterlassen, nur das Persönliche der
beiden Meister mochte bei ihm nachwirken.
Seine künstlerische Handschrift verdankt er
ganz sich selbst.
Sieben volle Jahre bringt jetzt Bartholome
für sich, abseits vom Getriebe der offiziellen
Kunst zu, erst im Jahre 1879 stellt er zum
erstenmal im Salon aus. Es war eine Zeit
ALBERT BARTHOLOME IM SCHATTEN
der größten Umwälzungen in der französischen
Malerei. Millet und Courbet waren tot, nach
langen Kämpfen hatte Manet sich durchgesetzt,
sein harter und unbarmherziger Impressionismus
hatte helle Empörung wachgerufen, aber
was Zolas Claude Lantier einst gerufen hatte:
„Faites entrer le soleil", das war doch längst
erfüllt, und allmählich hatte der alte schwärzliche
asphaltene Salon einem neuen lichten
silbergrauen Platz gemacht. Der Vermittler,
der Eroberer des Publikums war aber in jenen
Jahren nicht Manet, sondern Bastien-Lepage,
der vielleicht mehr Geschmack hatte, mehr Sinn
für das Bildmäßige, liebenswürdiger, milder war.
An ihn, der nur zwei Monate jünger war,
schloß sich Bartholome in seiner Kunst am
nächsten an, soweit er sich überhaupt an
jemand anschloß. Ein Frauenporträt und das
Bildnis eines Alten (Abb. untenstehend), das er
selbst „ä l'ombre" taufte, waren die ersten
Werke, die er ausstellte. Es ist derselbe
weiche und breite Vortrag wie bei Bastien-
Lepage — man möchte an dessen um sechs
Jahre älteres „Bildnis meines Großvaters"
denken —, dazu eine große Ehrlichkeit in
der Auffassung und ein Sinn für Ruhe und
Einfachheit, der in nichts den Novizen
verrät. Man ward aufmerksam auf ihn,
und dies Bild brachte ihm vor allem eins:
die Freundschaft von Degas, der im Salon
selbst auf ihn zueilte und ihm die Hand
schüttelte. Er ward von nun an sein bester
Kamerad. Durch sieben weitere Jahre hindurch
erschienen ähnliche Gemälde von ihm
im Salon. Schon vor jener dörflichen Ehrbarkeit
im Schatten hatte er eine „Abendmahlzeit
der Greise" vollendet. Dann folgten die
„Musiker im Hof", „Das Asyl", „Die letzten
Aehren", „Die junge Frau lesend". Ich nenne
nur einige, die noch im Besitz des Künstlers sind.
Da ist eine alte Frau, die für drei hungrige
Kinder Brot abschneidet; der köstliche, gebeugte
Kopf der Alten hängt im Luxembourg-
Museum. Dann eine Kinderschule: in der
Ecke eines ländlichen Hofes ein Reigen von
blassen Mädchen, herb und eckig drehen sich
die jungen Leiber im Tanze. Endlich ein
Bild, das etwas an Manet erinnert, auch in
den lebensgroßen Figuren: eine Amme mit
einem Kind im Kinderwagen und einem
großen Hund im Gewächshaus. Es sind ganz
einfache Stoffe, und es lebt in ihnen, wenn
sie nicht ganz schlichte Beleuchtungsstudien
sind wie das letzte Bild, ein tiefes Mitleid und
Erbarmen mit den Armen und Aermsten des
Volkes.
Der Künstler will heute nichts mehr wissen
von jenen malerischen Schöpfungen, die doch
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