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«^5> AUS DEN BERLINER KUNSTSALONS
märkischen Bauern. Zwei fast lebensgroße, Kartoffel
schälende Weiber, die im Garten vor einem Staketenzaun
sitzen, sind ihm auch malerisch gut gelungen.
»Der Täufling«, den eine Alte im städtischen Sonntagsstaat
an einem gedeckten, mit einem Feldblumenstrauß
geschmückten Kaffeetisch im Garten vorüberträgt
, hat Härten der Farbe, schaut aber frisch und
lustig aus. Jedenfalls ist nichts Konventionelles in
diesen Arbeiten. Felix Krause erinnert mit einem
Harmonikaspieler im dämmrigen Garten vor einer
grauen Wand mit oder ohne Absicht an Thoma.
Und wie gut sind Bilder von Max Schlichtung,
wenn er seine Pariser Atelierweisheit vergißt! Eine
ausgezeichnete »Marine« und eine sonnige »Gartenecke
« zeigen, daß er ohne die französische Art weit
mehr erreicht. Auch Franz Lippisch kommt zu
erfreulichen Ergebnissen, wenn er nicht symbolistisch
wirken will. Seine »Sommerwolken« über
einem gelben Kornfeld, sein »Nebliger Herbstmorgen
« sind höchst achtbare Landschaften. Victor
Freudemann, der in seinen Bildern sehr
ungleich ist, hat in dem »Großen Teich« im Riesengebirge
während der Schneeschmelze wieder einmal
etwas bemerkenswert Vorzügliches geschaffen.
Wenn Hans Herrmann auch immer wieder nur
Holland malt und zuweilen damit wirklich langweilt,
so wird man eine so hübsche malerische Leistung,
wie er sie in seiner auf Grau und Gelb gestellten
»Abfahrt des Dampfers« bietet, doch immer wieder
anerkennen müssen. Ein Stück Großstadtleben hat
O. Marcus in seinem Bilde »Bahnhof Friedrichstraße
« festzuhalten gesucht. Die Schilderung der
Lichteffekte, die sich abends an dieser Stelle zusammendrängen
, ist nicht übel gelungen. Marcus
hat sich jedoch leider die Sache verdorben, indem
MARCUS BEHMER del.
Aus den Zeichnungen zu Oscar Wilde's Salome. (Bespr. s. S. 272.)
Mit Genehmigung des Insel-Verlages in Leipzig
er zugleich mehr illustrativ als malerisch die Menschen
, welche die Straße beleben, schildern zu
müssen glaubte. — Der Salon Cassirer bringt eine
Edvard Münch-Ausstellung, von der man zunächst
sagen darf, daß sie den Künstler viel vorteilhafter
repräsentiert, als die Kollektion in der vorjährigen
Ausstellung der Berliner Secession. Man macht
hier die merkwürdige Entdeckung, daß der norwegische
Maler, den das Publikum brutal schilt, eigentlich
ein sehr feines Gefühl für die zartesten Nuancen
der Schönheit hat und, wenn er wollte, als
Künstler sogar zur höchsten Eleganz gelangen
könnte. Es scheint, daß er, um der auf diesem
Wege liegenden Gefahr zu entgehen, jene Einfachheit
der Form und des farbigen Ausdrucks erstrebt,
die auf den ersten Blick bei seinen Bildern so sehr
überrascht. Wenn nach Schönheit suchen eine
Weltanschauung haben heißt, so besitzt Münch gewiß
eine solche. Was er früher in symbolistischen
Bildern darzustellen suchte: Werden und Vergehen,
der Liebe Glück und Ende, war sicher nicht tiefer
gefühlt und gedacht, als was er jetzt in seinen vor
der Natur entstandenen Werken bietet. Indem er
die Wirklichkeit vereinfacht, um Form, Farbe, Ausdruck
möglichst charakteristisch herauszubringen,
kommt er zu ernsthaften, bedeutenden, künstlerischen
Symbolen, die stets mehr Lebens- und Ueberzeu-
gungskraft gehabt haben, als alle literarischen. In
dieser Ausstellung ist ein mit breitem Pinsel und
wenigen Farben skizziertes Mädchenköpfchen. Wenn
man eine Weile davor gestanden, meint man, nie
etwas gesehen zu haben, was mehr das Wesen des
Weibes ausdrückte. Ins Dämonische gesteigert erscheint
derselbe Ausdruck bei dem lebensgroßen
Akt eines sehr massiven Weibes. In beiden Fällen
kommt alle Wirkung aus dem Blick der Augen.
Wenn Münch ein Bild »Die vier Lebensalter« nennt
und darstellt, wie ein sechsjähriges Mädchen mit
einer etwas älteren Schwester über eine Dorfstraße
geht, während hinter ihnen auf dem Wege eine
Frau und eine Greisin herumspazieren, so liegt
darin gar kein weiterer Tiefsinn. Man würde das
Bild trotz des Titels übersehen, wenn Münch in dem
kleinen Mädchen nicht ganz einzig den Typus des
Kindlichen getroffen und zugleich eine prächtige
malerische Leistung gegeben hätte. Manchmal ist
dann bei ihm nicht die Erscheinung, sondern die
Farbe Symbol, wie in den Bildern, welche die
Stimmung der nordischen »Sommernacht« wiedergeben
, und wo die eigenartige Schönheit der Farben
in der Natur dadurch gesteigert wird, daß Münch
die tiefe Bläue des Himmels und des Wassers, die
hellschimmernden Häuser zwischen dunklen Bäumen
in Gegensatz bringt zu lichten und farbigen Frauenkleidern
, die im Glanz der tiefstehenden Sonne besonders
warm aufleuchten. Und was kann Münch
zeichnen! Ein Mädchen liegt »Am Tage darauf« nur
mit Hemd und Rock bekleidet, einen Rausch ausschlafend
, auf seinem Bett und läßt den linken Arm
heraushängen. Dieser Arm ist ein Meisterstück der
Zeichnung. Und weil Münch so gut zeichnet, sind
seine Porträts so ähnlich, so voller Charakter. Er hat
hier ein Damenbildnis, das Porträt eines in Künstlerkreisen
wohlbekannten Herrn Kollmann und das
angefangene Bildnis des Dichters Jonas Lie mit
seiner Familie am Strande. Jede Leistung für sich
erstaunlich und am amüsantesten vielleicht die unvollendete
, weil man daran die Arbeitsweise von
Münch beobachten kann. Auch das Gruppenbildnis
von vier Kindern, die vor einem gelben Holzhaus
stehen, verdient jedes Lob. Dazu sind noch Landschaften
mit und ohne Figuren vorhanden und das
große graphische Oeuvre Münchs mit Holzschnitten,
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