Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 7. Band.1903
Seite: 378
(PDF, 173 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_07_1903/0424
-<^ö> DAS WESEN DER KUNST

Niederschlag des Realismus der achtziger Jahre bedeutet
sein Buch anno 1902 schon einen gewissen
Anachronismus, und daraus erklärt sich sehr einfach
die mannigfaltige Enttäuschung, die es hervorgerufen
hat: sowohl bei den von ihm stark unterschätzten
»älteren Aesthetikern«, als bei den »Modernen«,
und nicht zum wenigsten, um dieser unerwarteten
Aufnahme willen, beim Verfasser selbst. — Um nun
aber zu zeigen, warum ich Langes Definition vom
Wesen der Kunst für etwas zu äußerlich halte und
inwiefern ich derselben eine geistigere Auffassung
entgegengestellt sehen möchte, muß ich ganz kurz
die Kernpunkte der beiderseitigen Meinungen miteinander
vergleichen; denn nur um diese handelt es
sich, während alles Beiwerk, das von Lange durchweg
sehr geschickt, wenn auch manchmal ziemlich willkürlich
, seiner Theorie angepaßt wurde, hier übergangen
werden kann. Und dabei ist wiederum zweierlei
zu scheiden : die Frage nach dem künstlerischen
Schaffen und nach dem künstlerischen Genuß. —
Ich beginne mit Langes abschließender Definition
des Begriffes Kunst: »Kunst ist eine teils
angeborene, teils durch Uebung erworbene Fähigkeit
des Menschen, sich und andern ein auf Illusion
beruhendes Vergnügen zu bereiten, bei dem jeder
andre bewußte Zweck als der des Vergnügens ausgeschlossen
ist.« Ein auf Illusion beruhendes Vergnügen
— voilä tout. Zunächst für den Schaffenden,
denn die Kunst ist ja eine Abart des Spiels, wie
Lange im Anschluß an eine gewisse »naturwissenschaftliche
« Auffassung von der Entstehung des
künstlerischen Triebes ausführt.

Und hier eben trennen sich unsere Wege scharf
und unzweideutig, hier vor allem liegt die Wurzel
unserer Streitfrage. Denn nicht als Ausfluß leichten
und oberflächlichen Spiels möchte ich die Kunst
betrachten, sondern als einen Teil des tiefsten und
edelsten Triebes, den der Mensch besitzt, ohne den
keine Naturwissenschaft, keine Philosophie, keine
Religion und - - keine Kunst bestehen würde: des
Erkenntnistriebes. Nicht die Erweckung eines angenehmen
Scheins ist mir das Ziel der künstlerischen
Tätigkeit, nicht ein spielendes »so tun, als
ob«, sondern eine ebenso ernste Auseinandersetzung
mit den Erscheinungen der Welt, wie die Wissenschaft
. Beide führen das Mannigfaltige, Vereinzelte
und darum Erklärungsbedürftige auf das Allgemeine,
Einfache und Gesetzmäßige zurück, dem Erkenntnisdrange
damit Klärung und Beruhigung bietend,*) und
der Unterschied besteht nur darin, daß die Wissenschaft
dies auf intellektuellem Gebiete und Wege
erreicht, die Kunst auf intuitivem. Mit gutem Bedacht
habe ich daher das Verhältnis von Kunst und
Wissenschaft in meinem oben erwähnten Aufsatz
so formuliert: »Auch der bildende Künstler klärt
ja, ebensogut wie der Gelehrte, unser Vorstellungsverhältnis
zu der uns umgebenden Welt, nur daß
er uns anschauliche Erkenntnis bietet, während die
Wissenschaft unsere begriffliche Erkenntnis erweitert
.« Er tut dies allerdings in wesentlichen
Stücken mit Hilfe der Erzeugung einer »Illusion«;
aber diese ist nicht Zweck, sondern Mittel, wie man
ja auch das Wesen der Wissenschaft nicht etwa
»realistisch« als die »Erweckung von Ideenverbindungen
durch Worte oder Schriftzeichen«
definieren dürfte, weil sie sich dieser
Mittel vornehmlich bedient. Nicht die
Illusion als solche macht also das Wesen
der Kunst aus, sondern die Verkörperung
jener besonderen, klareren und
reineren Vorstellung die nur wenigen
bevorzugten Menschen gegeben ist: den
Künstlern. Nicht daß der Künstler
überhaupt eine — beliebige — Illusion
hervorruft, ist das Entscheidende, sondern
»daß er etwas zu sagen hat«, daß
sich ihm Dinge und Zusammenhänge
enthüllen, die den andern verschleiert
bleiben. Und das führt unmittelbar
zum künstlerischen Genuß hinüber.
»Aesthetischer Genuß entsteht, wenn
eine verborgene Gesetzmäßigkeit fühlbar
wird,« sagt Walther Rathenau in
seinen geistvollen »Impressionen«, und
Adolf Hildebrand erblickt das Kriterium
darin, »ob es einem weit um die Brust
wird oder nicht«. Konrad Lange aber
läßt auch für den künstlerischen Genuß
ohne nähere Einschränkung lediglich
die - - beliebige - - Illusion als solche
gelten, und erklärt sie zur Vermeidung
jedes Mißverständnisses ausdrücklich
als eine bewußte Selbsttäuschung, als
ein beständiges Schwanken zwischen
Schein und Wirklichkeit, zwischen der
Vorstellung von dem Vorgetäuschten
und der Persönlichkeit des Vortäuschenden
. Selbstverständlich wollen wir nicht
bestreiten, daß auch für den Kunstgenuß
die Illusion ein wichtiges Mittel
ist, und daß ein solches Schwanken
zwischen Schein und Wirklichkeit tat-

LEO SAMBERGER

PROF. ALBERT VON KELLER

*) Vgl. H. Cornelius, Einleitung in die Phi
losophie.

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