http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_07_1903/0495
karl bauer
ritter vor dem kampfe
Somnier-Auss'el'.ung der Münchener Secession
DIE SOMMER-AUSSTELLUNG
DER MÜNCHENER SECESSION
Zwei große Skulptur-Werke grüßen am
Eingang der Secession den Besucher:
der „Vater Rhein" und eine Gruppe „Vaterlandslied
". Klingt das nicht verheißungsvoll
und poetisch? In Wahrheit bedeutet die Aufstellung
von Adolf Hildebrand's herrlicher
Rhenusstatue (vom Straßburger Monumentalbrunnen
) und Hugo Kaufmann's neuestem
Werke, der überlegt angeordneten, mit sorgfältiger
Naturbeobachtung modellierten, ernst
und feierlich anmutenden Gruppe, die der
genannte Künstler für sein Frankfurter Ein-
heitsdenkmal fertig gestellt hat, so wie diese
beiden einzigen größeren Plastiken der Ausstellung
da vor der Türe stehen, lediglich
einen Notbehelf. Was hindert die Secession,
die Hofräume ihres Gebäudes, von denen wohl
die wenigsten Besucher eine Ahnung haben,
mit Glas zu überdachen und auf diese Weise
einen durch gärtnerische Anlagen sehr hübsch
auszugestaltenden Raum für bedeutendere
Werke der Bildhauerkunst zu gewinnen?
Ist es wahr, was man hört, daß es die
kgl. Baubehörde ist, welche die klassischen
Bauwerke aus der Zeit Königs Ludwigs I.
Die Kunst für Alle XVIII. 19. 1. Juli 1903
schlechtweg für unberührbar erklärt? Dieselbe
Baubehörde, die im Umbau der Staatsbibliothek
— auch ein Monumentalbau Königs
Ludwigs — einen so merkwürdig entwickelten
Sinn für monumentales Achsensystem
erwiesen hat. Ja: Pietät ist eine schöne
Sache, sonderlich da, wo sie am Platze wäre.
Aber man sollte sich doch scheuen, überall, wo
es sich um Bemäntelung ängstlichen Haftens
am Hergebrachten handelt, die Manen des
groß- und weitherzigen königlichen Förderers
der Künste zu zitieren. Die gegenwärtigen
Raumverhältnisse zwingen die Secession, auf
größere Plastiken zu verzichten. Damit
hängt es wohl zusammen, daß uns auch in
diesem Jahre die hervorragendsten Meister
der modernen Bildnerkunst, ein Rodin,
Dillens, van der Stappen, Meunier, Tuaillon
u. a. in München wiederum fehlen.
Dagegen ist die jüngere Münchener Bildhauerschule
gut vertreten. Hermann Hahn ex-
zelliert mit einigen Marmorbildnissen von bekannter
Tüchtigkeit, die bei großer Geschlossenheit
der Gesamterscheinung in der Behandlung
der physiognomisch bedeutsamen, beweglichen
56*
443
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_07_1903/0495