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~^^> DIE FÜNFTE VENEZIANER KUNSTAUSSTELLUNG <^u^
manches auch, das den nordischen Geschmack
nicht angenehm berührt, ist an sich gleichgültig
: Venedig hatte nicht für uns, sondern
für die Italiener zu sorgen. Aber wir können,
meine ich, von der Organisation der Ausstellung
Nützliches lernen, und auf diese,
die im einzelnen wenig bekannt geworden
ist, möchte ich mit allem Nachdruck hinweisen
. Sie beruht, wie schon angedeutet
wurde, auf einem starken Idealismus, der
aber — in unserem schwungvollen Jahrhundert
eine Seltenheit! — nicht in Worten sich
äußerte, sondern in Handlungen.
Kein Wunder, daß diese meist Widerspruch,
Wehklage und Entrüstung erregten: es mußten
eben viele Späne fliegen, als der Bau entstand.
Eine Grundbedingung war die allerstrengste
Auswahl des Auszustellenden, und sowohl die
materiellen Interessen als die Eigenliebe so
mancher, die sich für gesichert hielten, erlitten
E. BLANCHE
Fünfte Internationale Kunstausstellung in Venedig
bedenkliche Einbuße. Aber unbekümmert um
alle An feindungen erreichte der Generalsekretär
Fradeletto, der mit dem Präsidenten der Ausstellung
, dem Sindaco, den unverantwortlichen
Vorstand bildet, sein hochgestecktes Ziel: bis
jetzt sind die Bestimmungen des Statutes
eingehalten worden, und alles wirklich Unkünstlerische
, nämlich die geistlose Handarbeit
, die schablonenhafte Verkaufsware, das
gemein Sensationelle, das frivol Extravagante,
und außerdem das zwar künstlerische, aber
skizzenhaft Unvollendete und die ebensowenig
für die Oeffentlichkeit geeignete Studie blieben
ausgeschlossen, während in sich abgerundete,
selbständig empfundene und mit beherrschter
Technik ausgeführte Werke jeder Richtung und
jeder Gattung aufgenommen wurden. Die Entscheidung
über die Auswahl lag in letzter Instanz
bei dem Vorstande, oder, genau genommen,
allein bei der treibenden Kraft in demselben,
dem Generalsekretär. Denn der
Vorstand ladet die Künstler, deren
Arbeiten er auf die Ausstellung
zu bringen wünscht, persönlich
ein und behält sich dabei das
Recht vor, die von den Eingeladenen
gesandten Werke zurückzuweisen
, falls sie ihm unreif
oder ungeeignet erscheinen
— eine vorzügliche Maßregel,
die gegenüber berühmten und
verwöhnten Meistern anderswo
selten oder niemals gewagt worden
ist, und die hoffentlich —
das entzieht sich natürlich der
Kenntnis aller Außenstehenden
— zu Ehren der ausgleichenden
Gerechtigkeit in Venedig nicht
nur auf dem Papier prangt. So
ist der Vorstand in der Lage,
jeder Ausstellung einen von ihm
gewollten, scharf umrissenen
Charakter zu verleihen. Um
aber der dabei drohenden Einseitigkeit
vorzubeugen, nimmt
der Vorstand auch Einsendungen
von nicht eingeladenen Künstlern
an, nur müssen sich diese
dem Spruch einer Jury unterwerfen
, deren Urteil freilich
wieder der Vorstand revidiert.
Auch wird bei der Zusammensetzung
der Jury dafür Sorge
getragen, daß sie aus unbeugsamen
und ganz uninteressierten
Männern besteht: wie ein italienischer
Stadttyrann der Renaissance
seine Intendanten und
BILDNIS
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