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-*-^> DIE FÜNFTE VENEZIANER KUNSTAUSSTELLUNG <ö^~
FRANZ STUCK HERBSTLANDSCHAFT
Fünfte Internationale Kunstausstellung in Venedig
in der Tat manches Bedenken erregen muß.
Die Härte, mit der es nicht nur die unkünstlerischen
Geschäftskünstler, sondern auch die
aufrichtig strebsamen, doch schwächlicheren
Talente um ihr Brot bringt, dürfen wir zwar
nicht tadeln, da bei verrotteten Zuständen wirklich
nur der eiserne Besen hilft und das Leben
des einzelnen gegenüber der Wohlfahrt der
ganzen Kunstentwicklung nur leicht in die
Wagschale fällt: aber eine große Gefahr des
Systems liegt darin, daß es sichtlich auf eine
einzige Persönlichkeit zugeschnitten ist, nämlich
auf den Generalsekretär, der als Fachmann
und Spezialist sowohl den im wesentlichen
repräsentierenden und unterschreibenden
Präsidenten, als die Kommissionen,
nämlich das künstlerische Komitee (für Hängen
und Ausstattung) und die Jury, deren Zusammensetzung
mittelbar doch wohl nur von
ihm ausgeht, beeinflußt. Von seiner Lauterkeit
also und von der Festigkeit seiner Ueber-
zeugungen, von der Klarheit seines Verstandes
, seiner Tatkraft und vor allem von
seinem Geschmack hängt das meiste ab:
schwankt er einmal oder versagt er gar, so
ist das System ad absurdum geführt und die
gute Sache zunächst verloren sie verfällt
dem Zustande eines Staates, der von einem
aufgeklärten Despoten geordnet und mit fester
Hand zum allgemeinen Besten gelenkt worden
ist, und der nach Beseitigung oder Demoralisation
des Herrn in das alte Wirrsal zurücksinkt
. In Venedig ist zum Glück dieser Fall
bisher nicht eingetreten; hoffen wir, daß der
Vorkämpfer des Idealismus gegen das Ba-
nausentum dort noch lange sein schweres Ge-
waffen und seine Dornenkrone tragen kann.
Hat aber das Statut bewirkt, daß das italienische
Publikum alle zwei Jahre seine
nicht sehr umfangreiche und dem dortigen
Kunstbedürfnis in richtiger Weise entsprechende
Ausstellung erhält, so ist damit
schon viel erreicht worden: eine gute Orientierung
über die verschiedenen Richtungen
und Motive der modernen Kunst und der
ruhige Genuß von ausgewählten Kunstwerken,
die ohne wesentliche Opferung des eigenen
Verstandes und ohne die uns jetzt so häufig
zugemutete Tortur des gutwilligen Beschauers
zu Ehren der Experimente und der Bizarrerien
besonders begnadeter Aestheten genießbar
sind. Damit gilt aber in Venedig die Kulturaufgabe
der Kunstausstellungen noch nicht
als gelöst. Man will das Instrument, das
handlich zur Verfügung steht, zu weitergehender
Umbildung des Ausstellungswesens
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