Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 8. Band.1903
Seite: 70
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DIE KULTUR DES WEIBLICHEN KÖRPERS

ebenso die Herrschaft wie im Handwerk und
Kunstgewerbe. Aber auch die Künstler müssen
eine Basis gemeinsamer Anschauungen beim
Publikum und nicht zum mindesten unter
sich vorfinden, um einen festen Punkt zu
haben, von dem aus sie eingreifen. Mit einem
Publikum, das alles mißversteht, das alles
nur aus Mode mitmacht und nie zum Wesen
der Sache dringt, können auch die besten der
Künstler nichts anfangen. Auch die Künstler
bedürfen der gemeinsamen Organisation. Denn
sie nehmen offenbar an, die Vorarbeit sei
schon getan, das Haus sei schon gebaut, und
beginnen mit dem Ausschmücken. Mag auch
sein, daß sie oft gar nicht das richtige Verständnis
und Interesse für die grundlegenden
Fragen besitzen und die Kleinigkeiten ihnen

GESELLSCHAFTSKLEID « ENTWORFEN'" VON JOHANNA
ENGEL « AUSGEFÜHRT VON PAULINE A. WINKER, BERLIN

zur Hauptsache werden. Es wird ihnen zum
wichtigsten, was für ein Ornament auf das
Kleid genäht ist, ob ein naturalistisches oder
ein stilisiertes — alles Fragen von zweiter
Bedeutung, die einmal später beantwortet
werden können. Zwar wollen die verständigeren
unter ihnen den Körper von einzwängenden
Kleidern befreien, aber dies nur
so en passant. Keiner aber legt die Linie
des Körpers, wie er bei ganz normaler Entwicklung
ist, als ein ganz neues Problem zu
gründe, von dem ausgegangen werden muß
durch Lösen der allerersten, rein sachlichen
Forderungen. Erst von ihnen aus entstehen
die neuen Gesichtspunkte des Ausschmückens.
Denn : die Seele unserer gesamten Frauenkleidung
muß eine andere werden.

Sie muß es werden auf Grund
einer für uns wieder ganz neuen Erkenntnis
der Schönheit des menschlichen
Körpers.

Das ist keine Angelegenheit etwa
des persönlichen Geschmacks, oder
allgemeiner vager Gefühle, über die
nichts Genaues zu sagen wäre. Das
wäre nicht die Art der Aesthetik der
Zukunft. Sondern aus der zusammenfassenden
Erkenntnis aller anatomischen
, biologischen, motorischen Momente
des Körpers entsteht ein neues
Begreifen des körperlichen Prinzips,
welches in dem plastisch erschauten
Idealbild des Körpers gipfelt.

* *
...

Kleidung ist vom sachlichen Standpunkt
aufgefaßt ein Schutz, vom
ästhetischen aufgefaßt eine Umschreibung
: eine Umschreibung des Körpers
und seiner Bewegungsfunktionen. Man
kann aber nichts umschreiben, ehe
man es nicht zum mindesten beschreiben
kann. Und man kann
nichts beschreiben, was man nicht
kennt.

Aber woher auch soll man den
Körper kennen? Unsere Lebensformen
haben zum unbekleideten
Körper eine ignorierende oder gar
negierende Stellung genommen. In
der Schule wird der Mensch über
seinen Körper, der doch auf Lebenszeit
der materielle Träger seines
ganzen Seins ist, gar nicht oder so
gut wie gar nicht unterrichtet. Abgesehen
von den im heutigem Leben
doch immer nur eine vereinzelte Rolle
spielenden Werken der bildenden

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