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-^4s£> WILHELM STEINHAUSENS WANDGEMÄLDE *C^=^
oben gerichtet, will ihn eines Besseren belehren
. Beide in eins gesehen, prägen die
Mahnung ein, „nicht auf den morgenden Tag
zu sorgen," und der blühende Baum zu ihren
Häupten erinnert an die Hand, die auch
„die Lilien des Feldes kleidet". Es folgt
auf der rechten Seite des Mittelbildes als
vierte Darstellung eine Gartenszene: Der
„gute Baum, der gute Früchte bringt", liefert
seinen Ertrag in die vollen Körbe, der
„faule Baum" wird abgehauen. - - Das fünfte
und letzte Bild knüpft an den Spruch an:
„Eure Lenden sollen gegürtet sein, und die
Lichter brennen, und ihr sollt Leuten gleichen,
welche ihren Herrn erwarten.....Selig
diese Knechte, die der Herr, wenn er kommt,
wachend finden wird." An die Wächter, die
mit Waffen und brennenden Fackeln gerüstet
stehen, schließt sich, durch einen gemalten
Pfeiler getrennt, die Gestalt eines Engels
an; eine Türe öffnet sich hinter ihm, die
er zu betreten einlädt: es ist die „enge
Pforte, die zum Leben führt". — Die vier
Pilasterfüllungen, welche die geschilderten
Bildflächen von einander trennen, nehmen
auf das Gleichnis vom vierfachen Ackerlande
Bezug, auf das der Same des Wortes fiel;
darüber die vier Köpfe erinnern an die vier
Personen der Evangeliengeschichte, die Steinhausen
auch einmal in anderer Ausführung
als die „vier protestantischen Heiligen" gemalt
hat, den Zachäus, die Sünderin (Luk. 7),
das kananäische Weib und den sogenannten
„guten Schächer". Unter den auf solche
Weise eingeteilten fünf Hauptbildern läuft
ein gemalter Sockelstreifen entlang, darauf
in der Mitte das Schiff der Jünger, von Sturm
und Wellen bedroht, den Kampf des Lebens
andeutend, auf den die oberen Szenen lehrend
vorbereiten, und in den langgezogenen Seitenteilen
rechts und links die zwei Parabeln
vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen
Samariter. Eine jede von den beiden letzten
vereinigt mit einer Freiheit, die sich zuweilen
auch die alten Meister nahmen, drei
ideell zusammengehörige, aber zeitlich auf
einander folgende Szenen der Erzählung. Mit
diesen beiden letzten Gleichnissen sind die
grundlegenden Vorstellungen von der göttlichen
Liebe und der menschlichen Nächstenliebe
dem Ganzen gewissermaßen als Unterbau
gegeben.
Wir haben damit in aller Kürze den Gedankengang
des Künstlers wiederzugeben versucht
. Aber sonderbar: haben nicht unsere
eigenen Worte im Eingang dieser Betrachtung
die Erwartung regegemacht, daß hier nichts
von jener Tendenzmalerei zu finden sei, die
dem heutigen Geschlecht, das von der Kunst
Erscheinung, Wirklichkeit, undnichtnur Unterhaltung
oder Belehrung verlangt, mit Recht als
etwas überlebtes gilt? Und setzen wir uns nicht
mit uns selbst in Widerspruch, wenn wir Steinhausens
Wandgemälde, in denen doch auch,
wie sich nun zeigt, ein lehrhaftes Gedankenziel
verfolgt ist, scheinbar für etwas anderes,
Besseres ausgeben? Keineswegs. Wir sind
nicht inkonsequent. Allerdings hat im gegebenen
Falle die künstlerische Darstellung
alle die erzählenden, parabolischen oder allegorischen
Elemente in sich aufgenommen,
welche die literarische Unterlage an die Hand
gab. Aber es handelt sich für sie doch nicht,
und das ist der Unterschied, auf den es an=
kommt, um die bloße bildliche Verdeutlichung
irgend eines vorgeschriebenen Gedankeninhalts
, sondern so, wie sie da stehen, sind
diese Bilder ohne allen Zwang aus einer Gestaltenwelt
hervorgegangen, die längst in
unserem Künstler als sein eigener innerer
Besitz vorhanden war und die sich denen,
die ihn kannten, längst in einer kaum noch
zu zählenden Menge von Schöpfungen der
Wand- und Tafelmalerei und der graphischen
Darstellung kundgegeben hatte, ehe
sie sich hier mit einem neuen, nennen
wir ihn nur immerhin didaktischen Stoff
verband. So haben diese Kompositionen doch
nichts gemein mit jenen - willkürlich erfundenen
, reflektierten Bilderfolgen, die man wohl
früher als Inbegriff aller großen Kunst ansah,
die wir aber nicht nur als unmodern, sondern
auch als unkünstlerisch überhaupt ablehnen
müssen. Sie sind vielmehr ganz einfach, was
jedes echte Werk der Kunst ist, Selbstdar-
slellung einer Persönlichkeit.
Allerdings will diese Persönlichkeit, und
das ist ihr gutes Recht, in ihrer besonderen
geistigen Natur verstanden sein. Man pflegt
an Menschen, die ein geistiges Innenleben
führen, die Spuren dieses Lebens in gewissen
physiognomischen Merkmalen, im Blick, in
den Gesichtszügen ausgeprägt, zu finden. So
empfängt auch jedes Kunstgebilde von der geistigen
Persönlichkeit seines Urhebers, sozusagen
seine besondere geistige Physiognomie. Natürlich
mit Unterschied. Es gibt Kunstwerke, die
in der Beziehung wenig oder nichts zu bieten
haben, und es gibt andere, die „hell geprägt auf
hoher Stirne" dies edelste Menschheitszeichen
an sich tragen. Jene lassen dem Beschauenden
eine gewisse Leere des Empfindens, den unvermeidlichen
Eindruck eines Haftens am
Vergänglichen zurück und keine noch so
vollendete Form vermag darüber hinwegzutäuschen
. Diese, selbst wenn sie mit den
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