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JOSEF HOFFMANN ~(^^
dem neuesten Schnitt zu gehen, zu Hause tun,
als säßen sie im 15. oder 16. Jahrhundert?"
„Man hat mit Recht behauptet, daß der
Ausdruck der höchsten Kultur die Kunst sein
sollte. Wo aber ist unsere Kultur? Seht euch
eure erbärmlichen Schulräume an, eure Schulbänke
und überhaupt alles, womit euch die
Vorschrift umgibt. Sprecht mit euren Eltern,
die in der falschen Tradition aufgewachsen
sind, und hört ihre Ansichten. Man muß
staunen, wie lieblos sie denken, und wie
sie alles zu ersticken trachten, was euch zu
einem besseren Menschen machen könnte.
Wo ist der herrliche Garten, in dem unsere
Gefühle wie Blumen erblühten, und wo die
schönsten Dinge von selbst entstanden?"
„Und dennoch, wenn es in uns tagt weit
und breit, wenn wir wieder beginnen, uns
mit Schönheit allenthalben zu umgeben, mit
selbstbewußter Schönheit, nicht mit erborgter,
erlogener Mache, muß uns da nicht wieder
Hoffnung beseelen? Zwar fürchte ich, daß
der Kampf ein ungleicher sein wird, ja daß
es überhaupt nicht mehr möglich ist, die
Masse zu bekehren. Dann aber ist es um
so mehr unsere Pflicht, die wenigen, die sich
uns zuwenden, glücklich zu machen. Sie
dürfen um keinen Preis getäuscht
werden."
„Auch die Moderne leidet unter unerträglichen
Fehlern, die uns abzugewöhnen wir
mit aller Macht anstreben müssen. Einesteils
glauben oft die einzelnen Künstler — ohne
ihrer wahrhaften Begabung nahetreten zu
wollen - - Schule machen zu müssen, d. h. in-
soferne, als sie ihre persönliche Ausdrucksweise
, nicht aber die ewigen Gesetze der
Schönheit, die unbewußt in jedem Kunstwerk
liegen, als nachahmenswert erachten;
andernteils sind sie bemüht, sich in irgend
eine Richtung einzuzwängen. Ich meine,
daß man vor allem den jeweiligen
Zweck und das Material berücksichtigen
sollte. Der Sinn für gute Verhältnisse
, und der angeborene Takt bei der
Wahl der Mittel werden von selbst den
Wert ausmachen. Fehler sind unvermeidlich;
wir wollen froh sein, wenn wir uns angewöhnt
JOSEF HOFFMANN
VILLA DR. V. SPITZER: SÜDSEITE
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