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-^ö> RICHARD VON SCHNEIDER ~C^=^
wurde mit einer Straßenkreuzung verschmolzen,
seitlich geschoben zur Erreichung weiterer
Wegkürzungen. An dieser Stelle ist es ermöglicht
, der größeren Abschlußwand die
günstigste Sonnenstrahlung Südost zu sichern.
Deshalb wurde auch die Schule — B —, ein
niederes, zwei Stock hohes Gebäude, dem
viel höheren Zinshaus vorgesetzt und dadurch
eine Platzgruppe gebildet. Dieselben
Gründe versuchten an anderer Stelle ein
des Namens Goethe würdigeres Plätzchen
zu formen. So sollen die meisten Krümmungen
die günstigsten Wetterlagen ausnützen
, was an der Straßenseite oft schwerer
gelingen mag als an der Hofseite. Noch sei
auf den Hausvorsprung A hingewiesen, der
den unbändigen Nordwest möglichst von der
verlängerten Nußbaumstraße abwehren soll.
Ueber die Verbauungsart der Hofanlagen
werden die späteren Abschnitte sprechen.
Es ist nur Sophistik, von Haupt- und Nebenfenstern
zu reden, die Wohnung einzuteilen
in Räume für dauernden, vorübergehenden
und kurzen Aufenthalt, in untergeordnete
Verkehrs- und Vorratsräume. Diese
Gesetzgeber wissen ganz gut, wo ihre Dienerschaft
dann schlafen muß, und daß in einer
derartig eingeteilten Wohnung, einmal vermietet
, kein Machtspruch, keine Gewalt mehr
bestimmen kann, wie diese „untergeordneten
Räume" zu benützen sind. Das Pariser Wohnhaus
bringt die Schlafkammern der Dienerschaft
in Mansarden unter. Man leidet vielleicht
unter dem Wetter- und Wärmewechsel, aber
man verfügt doch über Licht und Luft. In Wien
und mancher anderen Großstadt wohnen die
Dienstleute in düsteren Nebenräumen mit den
Fenstern nach dem Lichtschlot. Sie werden
nur von der gütigen, manches Mal fabelhaft
kurzsichtigen Baupolizei als Waschkammern,
Garderoben oder Bügelzimmer angesehen.
Jeder andere Sterbliche dagegen weiß sofort
beim Eintritt, daß dieser Raum, meist neben
der Küche, als Schlafzimmer für Köchin und
Kammerzofe bestimmt ist. In älteren Wohnhäusern
Berlins und modernen italienischen
Städten werden Räume horizontal unterteilt,
um niedere Schlafstuben zu schaffen, oft sogar
oberhalb von Aborten und Küchen! In den
meisten modernen Zinshäusern kann ja beim
besten Willen kein anderer Platz ausfindig
gemacht werden.
Man braucht kein Parteimann zu sein,
nur einfach menschlich und ehrlich zu fühlen,
Eine freistehende, drei
Stockwerk hohe Dresdener
Wohnhausgruppe
mußte ihren kostbaren
Grund auf 6 bis 8 m
schmale, ganz zwecklose
Vorgärten vergeuden. Um
den Verlust zu decken,
wurde der Baugrund auf
Rechnung des gesunden
Wohnens maßlos ausgenützt
. Ein allen drei
Häusern gemeinsamer,
durchschnittlich nur 7 m
breiter Lichthof soll vier
Schlafstuben, 12 Küchen,
ebenso vielen Vorratskammern
, 16 Aborten,
vier Badezimmern und
Gängen Licht und Luft
spenden. Zwei lange Vorzimmer
in jedem Stock
der beiden rückwärts angebauten
Gebäude sind
sogar fensterlos.
Der Gegenprobe fiel
es nicht schwer, das Unhygienische
/das ganz Verwerfliche
dieses Vorgartensystems
zu beweisen
. Bei ganz gleicher Verbauung
desselben Grundes
erhalten die Bewohner
nicht nur benützbare, an
Pflanzenwuchs reiche, daher
gesunde, angenehme
Gärten, sondern können
sich sonniger, licht- und
luftreicher Wohnungen erfreuen
, weil ohne Schädigung
von Nachbarinteressen
die günstigsten
Wetterlagen ausgenützt
wurden. Nur blinder
Parteigeist kann leugnen, daß diese Verbauung den Großstädten staubfreiere größere Luftmassen zusichert, als diese Straßen mit
den albernen, kümmerlichen Vorgärten, die den Philistern vielleicht ästhetisch behagen mögen, denkenden Menschen aber ein
Greuel sein müssen.
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