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e Krone der Münchner Neubauten aber verspricht
das Akademie-Gebäude zu werden,
mit welchem der Architekt des Polytechnikums, Oberbaurat
Neureuther, die früheren Arbeiten noch überbietend
, seiner Zeit und seiner Schule einen Musterbau
von Hochrenaissance herzustellen im Begriffe ist,
der hoffentlich den modernen Ausartungen einen ebenso
kräftigen Damm entgegensetzen, als den auf der edlen Bahn
des italienischen Cinquecento Wandelnden zum Vorbild und
zur Ermunterung dienen wird." Diese Worte schrieb Franz von
Reber gelegentlich der zweiten Generalversammlung des Verbandes
deutscher Architekten im Jahre 1876 in seinem leider
nicht genug bekannten architektonischen Führer durch München, der
eine ganz hervorragende Entwicklungsgeschichte der Münchner Architektur
enthält. Wir alle wissen die schönen Qualitäten des Neureuther-
schen Baues, der tatsächlich vielen als Vorbild diente, noch heute wohl
zu schätzen, und doch können wir, abgesehen von Einzelheiten — sub
specie aeterni — die Entwicklung der Münchner Architektur seit
Ludwig I. nicht glücklich nennen. Ein Wort Georg Hirth's aus dem
Anfang der achtziger Jahre begründet diese Behauptung: „Wir schwelgen
in der Entdeckung alter Kunst und Schönheit." Ludwig I. wollte nicht
eher ruhen, bis München aussah wie Athen; sein Nachfolger Maximilian II.
hatte schon wieder andere, diametral entgegengesetzte Ideale; beide aber
wollten ein Reis aufpfropfen auf den Stamm bodenständiger, süddeutscher
Kultur.
Bassermann-Jordan sagt in seinem vortrefflichen Werke „Die dekorative
Malerei der Renaissance am bayerischen Hofe": „Es ist zweifellos
unrichtig, von der kirchlichen Kunst in Altbayern im 16. bis 18. Jahrhundert
zu sagen, daß sie mit dem inneren Leben des Volkes ohne Zusammenhang
geblieben sei. Sie geht vielmehr, bald nachdem der neue Stil
maßgebend geworden ist, ihre eigenen Wege gegenüber der höfischen Kunst,
und sicher hat die Kirche niemals einen größeren Einfluß auf die Volkskunst
ausgeübt, als zur Zeit des Barock- und Rokokostiles. Und wenn die italienischen
Schmuckformen an den deutschen Ratsstuben und Patrizierhäusern eine Umgestaltung
erfuhren, die sie zum deutschen Renaissancestil macht, so dürfen
wir das nationale Element eben in der Anpassung an die heimischen Bedürfnisse
an Klima, Land und Leute erkennen." Vielleicht eine Sehnsucht historisch
und künstlerisch gebildeter Geister — aber ein nationales Element hat sich
in den Bauten Ludwigs I. niemals ausgesprochen; ich wiederhole, trotz
einzelner Schönheiten, beispielsweise trotz der gloriosen Idee für den Ausbau
W. KEPPLER MÜNCHEN
Dekorative Kunst. VII. 3. Dezember 1903
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