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-sr4sö> SCHÜLERARBEITEN DER LEHR- UND VERSUCH-ATELIERS
FRIEDRICH ADLER o LEUCHTER « IN ZINN AUSGEFÜHRT
VON DER KUNSTGEWERBLICHEN
METALLWARENFABRIK »ORIONs NÜRNBERG
alle diese Reichtümer der Natur für die
Zwecke der angewandten und dekorativen
Kunst verwenden soll.
Es tritt dann die andere, die geistige Seite
des Unterrichts in ihr Recht: nämlich die
Frage nach den Notwendigkeiten und Gesetzmäßigkeiten
, die beim Entwerfen in der
Flächenkunst, in der struktiven und plastischen
angewandten Kunst herrschen müssen.
Auch hier läßt man den Schüler erst frei
und nach Belieben ein Tapetenmuster, eine
Stickerei, einen Buchschmuck, einen Fries
oder einen Beleuchtungskörper, ein Möbel,
eine Vase oder ein Grabmal entwerfen. Erst
nachdem er sich gewissermaßen frei
ausgelebt hat im Entwerfen, wird die
kritische Sonde angelegt. Es werden
die Fragen besprochen: was ist eine
Tapete, was soll sie sein, auf was
kommt es bei dem Tapetenproblem an;
was ist Buchschmuck, was soll er sein,
worauf kommt es bei Buchschmuck an.
Es wird erkannt, daß es sich hier um
Raumbelebungs-, Raumausfüllungsprobleme
handelt und nicht um beliebiges
launenhaftes Hinzeichnen von irgend
etwas auf einer Fläche. Es wird erkannt
, daß es sich bei einem Friese, bei
einer Wandmalerei in einem Treppenhause
etc. um dekorative und lineare
Bewegungsprobleme handelt, und daß
diese optischen Gesetzmäßigkeiten obwalten
müssen — ob ein Künstler mit oder ohne
Phantasie schafft — wenn das Werk als
gelungen bezeichnet werden soll, und daß
diese erkannten Gesetze lehrbar sind, so
wenig auch Phantasie lehrbar sein möge. In
immer wiederholten Proben werden diese
Gesetzmäßigkeiten der ornamentalen und dekorativen
Raumausfüllung und Raumbelebung
nachgewiesen, erprobt und bewiesen. Diese
intellektuell-künstlerische Erkenntnis ist speziell
in der Flächenkunst das eigenste Gebiet
von W. v. Debschitz geworden, der einige
der Grundzüge dieser von ihm ausgebildeten
Methodik in dem vorhergehenden Artikel
niedergelegt hat. Und wir hoffen nur, es
wenigstens andeutungsweise klar gemacht
zu haben, daß derartige Erkenntnisarbeit
weit entfernt ist von einer Aufoktroyierung
eines Schemas, und daß es nichts weiter wie
die Harmonie- und Kontrapunktslehre in der
angewandten und dekorativen Kunst darstellt,
der rote Faden, an dem sich die sonst leicht
wuchernde deutsche Phantasie stets wieder
zurecht finden kann und soll. An der Hand
dieser Erkenntnis korrigiert dann der Schüler
seine hundert Einfälle und Entwürfe und
macht wenigstens aus einigen von ihnen
abgeschlossene Gebilde statt bloßer Einfälle.
Und nicht anders verfahren wir in den
Problemen der struktiven Künste der Beleuchtungskörper
, des Mobiliars, der Innenarchitektur
, sowie in der Keramik und in
der Kunst der selbständigen plastischen
Form in Grabmälern, Denkmälern, Brunnen etc.
Am meisten Mühe hat uns bis jetzt die
dritte Seite des kunstgewerblichen Unterrichts
gemacht, nämlich das bei den Schülern
zu erreichen, daß ein Gegenstand unbedingt
seine praktische Aufgabe erfülle: bequem,
brauchbar, zweckentsprechend, technisch
FRIEDRICH ADLER «COMPOTIERE « IN ZINN AUSGEFÜHRT VON
DEN KUNSTGEWERBE. WERKSTÄTTEN »ORION«, NÜRNBERG «
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