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AUGUSTE RODIN B U S T E V O N R O C H E F O R T
festgehalten wird. Es gibt noch eine große
Anzahl späterer Frauenbüsten von Rodin, meist
Amerikanerinnen von einer stolzen und exotischen
Schönheit, mit fast grausamem Blick
oder abweisendem Lächeln — alle aber von
einer wunderbaren Durchführung des weichen
Fleisches. Hier hat Rodin die große Kunst
gezeigt, alle Einzelformen zu geben und selbst
zu steigern, und doch den Ausdruck von
jugendlicher Weichheit und Schönheit darunter
nicht leiden zu lassen.
Auf die Werke dieser ersten Periode möchte
man immer wieder alle die hinweisen, die in
oberflächlicher Kritik der letzten Werke glauben
, daß das Wesen der Rodinschen Plastik in
dem Unausgeführten, nur Angedeuteten läge.
Man kann sich kaum zwei weiter durchgebildete
Akte denken, als die des Urmenschen
und des Vorläufers, nicht ausdrucksvollere,
mehr durchgearbeitete, inhaltsreichere Köpfe
als diese seine Büsten. So kühn zu skizzieren
, wie dies der späte Rodin tat, das
durfte nur ein Künstler wagen, der Souverän
über die Form ist. Ich möchte diese Erstlingszeit
Rodins seinen herben und strengen
Stil nennen. Nicht nur in der liebevollen
Durchführung bis ins einzelne, auch in der
Formengebung ist er hier streng, er liebt die
knappen straffen Leiber, die ganz Wille und
Energie sind. Es sind fast ausschließlich
Bronzewerke, die diesem Stil angehören, und
es ist sein Bronzestil, den er hier geschaffen.
Auch noch in anderer Beziehung nehmen
diese Werke eine Sonderstellung ein. Man
betrachte den Mann des ehernen Zeitalters
von vorn (s. Abb. S. 291), den Täufer in der
Profilstellung (s. Abb. S. 292) — sie geben beide
einen reinen Gesichtseindruck, das, was Adolf
Hildebrand das Fernbild genannt hat. Sie bieten
außer dieser einen Hauptansicht eigentlich nur
noch eine einzige zweite Ansicht. Sie entsprechen
so der ältesten Forderung, die an
freistehende, von weitem sichtbare Figuren
gestellt ist, obwohl diese Forderung aus der
Technik der Steinplastik heraus und nicht aus
der der Bronzeskulptur begründet worden ist.
Hildebrand hat uns dies Gesetz in seinem
„Problem der Form" eingeprägt, in seiner
gedrängten, schwer flüssigen, schwerverständlichen
Sprache, um so zäher scheint jetzt
auch dies Gesetz in den Vorstellungen zu
haften. Ob mit Recht? Ist es denn wirklich
ein Gesetz? Oder nur eine Erfahrungstatsache?
Die innere Notwendigkeit, Fernbilder zu schaffen
, besteht doch zunächst nur, wo eine Figur
oder eine Gruppe aus der Ferne gesehen
werden soll, und dann dort, wo ein oder vorzugsweise
ein einziger Punkt oder eine einzige
Linie zum Beschauen des Kunstwerkes gegeben
ist. Das alles aber gilt doch schon nicht
für eine Gruppe, die in einem verhältnismäßig
engen Raum frei aufgestellt gedacht ist, so
daß wir von allen Seiten um sie herumgehen
können. Rodin schien es, daß jenseits dieser
Darstellungsart, die auf einem Plan, vor einem
Plan eine Figur aufbaute, noch eine andere,
vielleicht eine höhere Kunst liegen mußte, die
bei allen Seiten einer Gruppe zugleich einsetzte
, nicht einen, nein ein Dutzend und
mehr Umrisse im Auge hatte, die Figuren von
allen Seiten gleich bedeutend, gleich ausdrucksvoll
gestalten wollte. Er begann eine Gruppe
von allen Seiten zugleich, nahm in zahllosen
Skizzen die Silhouetten von allen Seiten auf,
und vertiefte, verschärfte, vereinfachte diese,
um sie dann miteinander zu vereinigen. Das
ist es, was er ursprünglich das mouvement
dans l'air genannt hat. Nicht die Atmosphäre
selbst hat er hier etwa mitschildern wollen,
wie man mißverständlich gemeint, sondern
seine Körper von allen Seiten nur dem Spiel
dieser Atmosphäre darbieten wollen.
Das klassische Beispiel dieser Kunst ist
sein Kuß, das lebensgroße Marmorwerk, das
Die Kunst ftlr Alle XX.
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