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KARL WALSER
Künsilerbund-Ausstellung 1905 in Berlin
PIERROT
DER MEINUNGSSTREIT UBER DEN IMPRESSIONISMUS
Julius Meier-Gräfes Buch »Der Fall Böcklin und
die Lehre von den Einheiten« hat Henry Thode
Anlaß gegeben, in Heidelberg eine Böcklin-Thoma-
Ausstellung zu veranstalten und dort zugleich öffentliche
Vorlesungen über moderne Malerei zu halten,
in denen er die Meier-Gräfeschen Ansichten und
den deutschen Impressionismus nachdrücklich bekämpft
. Das hat Max Liebermann veranlaßt, sich
in der »Frankfurter Zeitung« (Nr. 186) gegen Henry
Thode zu wenden, der an gleicher Stelle wiederum
von Hans Thoma in Schutz genommen wird (Nr. 192).
Max Liebermann ergreift dann ebendort nochmals
das Wort zu seiner Rechtfertigung (Nr. 197). Es
bleibt abzuwarten, in welcher Weise der Kampf sich
weiter entwickeln wird. Wir beschränken uns heute
darauf, die bisherigen Aeußerungen Liebermanns
und Thomas wie folgt kurz zusammenzufassen.
Max Liebermann schreibt (23. Juni): >Wie? Henry
Thode hält ein Kolleg über moderne Malerei?
Risum teneatis amici! (folgt die Wiedergabe abfälliger
Kritiken Franz Wickhoffs über Thode als Kunsthistoriker
) . . . Thode schildert den Einfluß des
Impressionismus mit den lapidaren Worten: ,Die
meinungbildende Kraft der modernen Kunst ist
ein kleiner Kreis in Berlin, der in inniger Beziehung
zum Kunsthändler steht.'
»Es weiß jeder Student der Kunstgeschichte im
ersten Semester, daß der böse Impressionismus,
dessen Verherrlichung in den Büchern Meier-Gräfes
Herrn Thode so in Harnisch gebracht hat, daß er
sich entschloß, ihm sein »Quos ego« zuzuschleudern,
gerade so alt ist wie die Malerei. Witzig nannte
mein verstorbener Freund Bayersdorfer Piero de la
Francesca, von dem Geh. Rat Thode schon gehört
haben dürfte, den ersten Professor für Plein-air-
Malerei, und ich bin überzeugt, daß sogar Thode,
wenn er sich einmal ein paar Stunden seiner kostbaren
Zeit absparte, um die Bilder eines gewissen
Velasquez zu betrachten, in dem Spanier eine impressionistische
Anschauung »entdecken« dürfte, die
über Goya zu Manet führt.
»Wenn aber ein Professor an einer der ersten
Universitäten Deutschlands in einer reinkünstlerischen
Angelegenheit mit persönlichen Insinuationen,
wie »Mangel an nationalem Empfinden«, »Nachahmen
der Franzosen«, »Poesielosigkeit« und andern
aus der Rüstkammer der Antisemiten entnommenen,
bereits ziemlich verrosteten Waffen den Feind zur
Strecke zu bringen versucht, so beweist das nur,
daß er seinen Gegner mit sachlichen Gründen nicht
zu widerlegen vermag; mit anderen Worten: daß
der Herr Geh. Rat Thode von neuer Kunst gerade
so viel versteht wie von der alten.«
Hans Thoma äußert sich daraufhin (10. Juli)
folgendermaßen: Liebermann habe übersehen, daß
das Meier-Gräfesche Buch eine Herausforderung
sei, gerichtet gegen das eigentlichste Wesen der
deutschen Kunst, wie eine solche kaum je vorgekommen
sei, eine Herausforderung, die gerade das
beste, was aus der deutschen Volksseele herausgewachsen
sei, mit Füßen oder eigentlich mit Phrasen
trete. Thode in seiner mannhaften Tat wolle
nur helfen, uns Deutschen das Recht zu wahren,
unsere Kunst so zu gestalten, wie wir sie haben
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