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ZUR ÄSTHETIK DER ZUKUNFT
er die Zeit um 1897 bei uns
miterlebt hat und sich der
Gründung dieser Zeitschrift
, die damals inmitten
eines jähen Kulturoptimismus
erfolgte,
erinnert, wird auch noch
die Worte im Gedächtnis
haben, die Julius Meier-
Gr aefe, als Mitbegründer,
der „Dekorative Kunst" zur Einführung
schrieb und die in ihrer Unbedingtheit in dem
Satze gipfelten: „Lieber keine Bilder— zunächst
gute Wände!" Der französische Impressionismus
wurde in diesem Aufruf das
PAUL HAUSTEIN
Beispiel einer glänzenden Decadence genannt,
und nur vom Gewerbe schien dem Schriftsteller
eine nachhaltige Erneuerung ausgehen
zu können.
In dem Buche, das Meier-Graefe nun,
nach kaum sieben Jahren, der Oeffentlich-
keit übergibt, klingt es anders.*) Die französische
Malerei wird nun als die Trägerin
des ästhetischen Geistes der Zukunft dargestellt
und der Kunst im Gewerbe, wie sie
sich im letzten Jahrzehnt entwickelt hat, nicht
viel Gutes nachgesagt. Dieser Ueberzeugungs-
wechsel wird nicht konstatiert, um von vornherein
das Vertrauen zu diesen neuen Urteilen
des anregungsfähigsten unserer Kunstschriftsteller
zu erschüttern
; im Gegenteil
! es gibt ja kaum
etwas — oder es sollte
doch so sein — was
mehr Vertrauen verdiente
, als eine aus
Gründen innerer Entwicklung
unternommene
Revision der
Meinungen, weil diese
Handlung zugleich
Klugheit und Verantwortlichkeitsgefühl
voraussetzt. Die Tatsache
wird vielmehr
ins Gedächtnis zurückgerufen
, weil sie
dazu angetan ist, auch
die Bewegung in den
angewandten Künsten,
der diese Blätter nach
wie vor dienen, zu
charakterisieren, und
weil die bewußte
Selbstkorrektur des
Schriftstellers einer
ähnlichen, wenn auch
unbewußten weiter
Kreise entspricht. Daß
PAUL HAUSTEIN
AUS DEM NEBENSTEHENDEN SCHLAFZIMMER
*) Entwicklungsgeschichte
der modernen
Kunst. Vergleichende Betrachtung
der bildenden
Künste, als Beitrag zu
einer neuen Aesthetik.
3 Bände. Verlagjul. Hoffmann
, Stuttgart. Preis
Mk. 30.-.
80
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