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-^s£> DAS ENGLISCHE HAUS <ö^-
VERLAG DER WERKSTÄTTEN FÜR WOHNUNGSEINRICHTUNG, KARL BERTSCH, MÜNCHEN
förmlicher Markstein in der Umkehr der
englischen Bauweise entstanden, und weiteres
erwuchs unter dem Einflüsse von hochbedeutenden
Architektur-Künstlern wie Philip Webb,
Norman Shaw und Eden Nestfield in kurzer
Zeit, so daß von einem eigentlich englischen
Hause im modernen Sinn gesprochen werden
kann, lang ehe jene erste, Aufsehen machende
Ausstellung in Lüttich den erstaunten Kontinent
-Größen die Augen darüber öffnete,
daß England eine durchaus national geartete
Kunst besitze, die allmählich alle Fesseln
akademisch-konventioneller Anschauung abgestreift
und ihre durchaus eigenartige
Sprache gefunden hatte. Der Werdeprozeß
dieser Tatsache und ihre immer weiter schreitende
Ausbildung - das ist der Inhalt des
Werkes von Muthesius. Wohl hatte schon
R. Dohme im Jahre 1888 das englische Haus
einer eingehenderen Würdigung unterzogen,
indes fehlen dem geistreichen Buche doch
jene breiten Unterlagen, die sich Muthesius
durch jahrelangen Aufenthalt in England und
durch seine intimen Verbindungen mit der
englischen Künstlerwelt geschaffen hat. —
Das Vorwort des vorliegenden ersten Bandes
gibt knapp und klar die Gliederung des Stoffes,
der nach seiner historischen Entwicklung
im ersten, nach den sozialen Bedingungen im
zweiten und nach den künstlerischen mit
spezieller Berücksichtigung des Innenraumes
im dritten Bande geordnet ist. — Nicht
alles freilich, was jenseits des Kanales entsteht
, kann Anspruch erheben darauf, als ein
Werk der Bau-„Kunst" gelten zu dürfen,
denn auch dort gibt es noch minderwertige
Leistungen genug, indes ist die Menge des
Guten, ja Vortrefflichen so groß, daß die
unzulänglichen Arbeiten daneben nicht zu
bestehen vermögen und tagtäglich mehr in
den Hintergrund gedrängt werden, dank einer
Erziehung allerdings, welche die Wichtigkeit
künstlerischer Betätigung im Leben weit höher
einschätzt, als dies z. B. in Deutschland der
Fall ist. Die Tatsache läßt sich durch keinerlei
Argumente aus der Welt schaffen, daß in
England die ganze Wohnungsfrage auf einem
kulturell weit höher entwickelten Punkte steht,
als es in den übrigen Ländern Europas der
Fall ist, nicht nur hinsichtlich der ihr innewohnenden
künstlerischen Werte, sondern
auch in Bezug auf die wesentlichste Erscheinung
der Neuzeit: Die Hygiene. Das dokumentiert
sich am besten beim Arbeiterhause. Muthesius
erschließt nun dieses Gebiet nicht nur
als Fachmann, er weiß vielmehr seine Stoffe
auch in jenes sprachliche Gewand zu kleiden,
das der Sache ebenbürtig ist. Es ist ein
wahres Vergnügen, seinen geistreichen Auseinandersetzungen
zu folgen. Sie sind frei
von jeder überflüssigen ästhetisierenden Behandlung
. Die sachliche Erkenntnis steht
obenan und findet ihre treffliche Erläuterung
durch reichliches und gutes Illustrationsmaterial
, Grundrisse sowohl als Ansichten.
Nach einer zusammenfassenden Einleitung
über die Bevorzugung des Landlebens, die
Liebe zum Heim, das englische Selbständigkeitsgefühl
, das seinen starken Ausdruck im
Alleinwohnen findet und dadurch die Vorbedingungen
zu einer wahren künstlerischen
Kultur in sich schließt, kommt der Verfasser
auf die geschichtliche Behandlung seines
Themas, das dank einer nach außen abgeschlossenen
Zivilisationsentwicklung „unbeeinflußt
von störenden fremden Eindrücken"
auf dem Boden nationaler Eigenart zu der
hohen Bedeutung gelangt ist, die es im Kulturleben
der Völker zu beanspruchen hat. Er
behandelt die einschlägigen Erscheinungen
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