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-ö-4s£> DER WEG UND DAS ENDZIEL DES KUNSTGEWERBES <^=^
wurde ein hohler Begriff, bei dem sich niemand
etwas denken konnte, das Spezialgebiet
einer Berufsklasse, wie es das Sanskrit
des Sprachforschers ist. Der Klang des
Wortes selbst hat heute fast etwas Abschreckendes
an sich, eine frostige Kälte
strömt von ihm aus. Dagegen wärmt das
Wort Malerei alle Herzen an. Die Malerei
wurde das Schoßkind der Gesellschaft des
neunzehnten Jahrhunderts, sie bildete den
unbestrittenen Tummelplatz aller Kunstbedürftigen
.
Erst ganz in neuerer Zeit hat sich neben
ihr noch ein anderes Kunstgebiet die Gunst
des Publikums zu erringen vermocht: das
Kunstgewerbe.
Kunstgewerbe ist ein neuer Begriff, ein
Sondergebiet unserer Zeit, sowohl in der Wortbildung
als in der Sache etwas Neues. Der
Begriff ist erst in der letzten Hälfte des
19. Jahrhunderts entstanden, es wäre interessant
, einmal festzustellen, wer das Wort
zuerst gebraucht hat. Jedenfalls wußte man
früher (man kann sagen in der alten Kultur)
nichts von Kunstgewerbe, man kannte nur
den Begriff Handwerk. Das Handwerk rechnete
man selbstverständlich nicht zu den Künsten,
obgleich es damals nach dem Maßstabe unsrer
heutigen Beurteilung durchaus Kunsthandwerk
war. Vielleicht erschien die besondere
Betonung des Künstlerischen in ihm darum
gerade überflüssig, weil die Verbindung von
Kunst und Handwerk natürlich gewachsen
war und darum als organisch unzerlegbar
empfunden wurde.
Es war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
, als den Einsichtigen plötzlich die
Augen darüber aufgingen, daß das Gewerbe
kunstlos geworden war, daß diese Abtrennung
des Künstlerischen vom Handwerklichen trotz
allem eingetreten war. Die Weltausstellung
in London 1851 hatte diese Erfahrung gebracht.
Macht man sich heute klar, was das heißt,
so sollte man meinen, daß die Entdeckung
fürchterlich gewesen sein müßte, so fürchterlich
wie die Entdeckung des Bankrotts in
einem altfundierten Hause oder die ärztliche
Diagnose auf eine lebensgefährliche Krankheit
. Denn damit war ein Zustand des Handwerks
entdeckt, in dem es sich seit den
Zeiten seines Bestehens noch nicht befunden
hatte. Es war aus dem Paradies seiner
kindlich-künstlerischen Existenz herausgetrieben
. Es hatte seinen Lebenshauch verloren
und war zur toten mechanischen Herstellung
herabgesunken.
So schroff treten Entdeckungen von schleichenden
Uebeln indessen nicht auf. Selbst
wenn sie von einzelnen in ihrer ganzen Ausdehnung
erkannt werden, täuscht sich die
Menge weiter über sie hinweg. Und so
machte die Entdeckung damals auch durchaus
keinen umwälzenden Eindruck. Es geschah
nur eins: man gründete in beträchtlichem
Umfange Schulen mit dem Zwecke, dem
Handwerke wieder künstlerischen Charakter
zu verleihen. Die Gründung erfolgte in England
planmäßig schon in den fünfziger und
sechziger Jahren, in Deutschland in größerer
Zahl erst von 1870 an.
Diese Schulen nannte man „Kunstgewerbeschulen
", nach dem Muster der neugegründeten
„Kunstgewerbe-Museen". Was darin getrieben
wurde, entsprach genau der Bildung des inzwischen
zum Bürgerrecht gelangten Wortes
„Kunstgewerbe": man behaftete das Gewerbe
mit Kunst, d. h. mit dem, was man damals
für Kunst hielt.
Und das waren die äußeren Erscheinungsformen
der alten Handwerkserzeugnisse.
Diese Formenwelt studierte man eifrigst. Die
Kunstgewerbemuseen schleppten Massen von
altem Studienmaterial zusammen, das man
nun aufmaß und skizzierte, um es als „Kunst"
den kunstlos gewordenen Handwerkserzeugnissen
zuzutragen. Die Uebertragung geschah
von einem besondern, durch die Kunstgewerbeschulen
herangebildeten Stande, dem
Kunstgewerbezeichner, einer Nebenform des
Architekten, der denselben Studienweg für die
Architektur schon früher beschritten hatte. Der
Kunstgewerbezeichner zeichnete auf Papier
die anzubringende „Kunst", d. h. die alten
Kunstformen vor, und der Handwerker bildete
sie mechanisch nach. Keiner wußte
dabei sehr viel von dem andern.
Aus der früheren Einheit des Gewerbes
war so eine Zweiheit geworden, und diese
Zweiheit prägte sich auch nur allzu deutlich
in den Erzeugnissen aus, die aus der Doppelarbeit
entsprangen. Sie bestanden zum allergrößten
Teil aus dem durch das Bedürfnis
und die Tradition diktierten Nutzkörper und
den diesem aufgehefteten, der historischen
Kunst entnommenen Schmuckformen. Die
Begeisterung, mit der man inzwischen diese
alten Schmuckformen zu betrachten gelernt
hatte, überdeckte den Zwiespalt. „Unsrer
Väter Werke" war das Kosewort, mit
dem man alte, als vorbildlich betrachtete
Handwerkserzeugnisse benannte und als über
jeden Zweifel erhaben empfahl. Ihre äußern
Erscheinungsformen wurden für so heilig gehalten
, daß eine Uebertragung auf die Produkte
unserer Zeit nur begrüßenswert erschien
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