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-^4sö> DIE AUSSTELLUNG VON HANDZEICHNUNGEN IN DRESDEN
bedient. Zwischen dieser vollendeten Zeichnung
und einer flüchtigen Andeutung liegen unendliche
Möglichkeiten, dem persönlichen und jeweiligen
Bedürfnisse zu genügen, woraus sich denn auch für
den Beschauer eine unendliche Fülle von künstlerischen
Reizen und Genüssen ergibt.
Das zeigt von neuem die »Zweite Ausstellung
von Handzeichnungen deutscher Künstler«, die
zuerst die Ernst Arnoldsche Kunsthandlung in
Dresden veranstaltet hat und weiter
in Leipzig und anderen Kunststädten
zeigen wird. Einige vierzig der hervorragendsten
deutschen Künstler sind
darin mit über 300 Zeichnungen vertreten
— eine auserlesene Sammlung
von einer Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit
, wie man sie nur ausnahmsweise
beisammen findet.
Von verstorbenen Künstlern sind zunächst
Menzel und Ludwig Richter
mit ein paar charakteristischen Blättern
vertreten. Moritz von Schwinds
köstliche figurenreiche Komposition
»Musikalische Soiree bei Schubert« ist
mehr eine wertvolle kulturgeschichtliche
Illustration als ein zeichnerisches
Dokument. Die Akte von Hans
von Marees erinnern an das Ringen
eines technisch nicht Vollendeten um
Größe und Monumentalität, während
Adolf Liers landschaftliche Studien
in ihrer Beschränkung auf das Wesentliche
des Motivs, auf Umrisse und Tonmassen
oder im sicheren Festhalten
der Stimmung den geklärten Künstler
zeigen, der in der Natur alsbald das
Bild sieht, das ihm daraus erstehen
soll. Sein Zeitgenosse Anselm Feuerbach
erscheint uns dagegen auch in
seinen Zeichnungen mehr als ein
Mann von Geschmack und stilgebändigtem
Können denn als ein Künstler
von hinreißendem Temperament und
glühender Phantasie. Das tiefe seelische
Leben, das wir in seinen Briefen
und Tagebuchaufzeichnungen vorfinden
, fehlt in seinen Zeichnungen:
Seine Medusa ist trotz aller Kunst
der zeichnerischen Darstellung nicht
mehr als eine finster blickende Frau
mit Schlangen coiffiert. Wie anders
schreckhaft stehen wir da vor der
Böcklinschen Medusa, die vor kurzem
bei Gurlitt in Berlin zu sehen war.
Nur das vornehme, feine Profilbildnis
des Frl. O. zeigt uns den weiblich
empfindenden Künstler auf der Höhe
seines Könnens. Die landschaftlichen
Zeichnungen Sion L. Wenbans —
teils flüchtig hingeworfene Naturausschnitte
, auf Stimmung und malerische
Massen hin gesehen, teils mit geringem Aufwand
zeichnerischer Mittel gegebene feine Landschaftsbilder
— erwecken in uns wieder das Bedauern
, daß dieser Künstler in München bis an
sein Lebensende, ohne die gebührende Anerkennung
und Unterstützung zu finden, ein kümmerliches
Dasein führen mußte. In Wilhelm Leibl's
Zeichnungen endlich lebt die urwüchsige Kraft des
Künstlers, der mit mächtigen schwarzen Strichen
und Tonmassen aus Hell und Dunkel Gestalten von
wuchtigem Leben, Innenräume von köstlichem Reiz
zu zaubern wußte. Eine wahrhaft starke Persönlichkeit
spricht aus diesen meisterhaften Blättern
voll malerischen Lebens und in echt zeichnerischem
Materialstil.
Unter den lebenden Künstlern sind vor allem
die Berliner durch eine Fülle von verschiedenartigen
Persönlichkeiten vertreten. Da ist Max Liebermann
, dessen Männer und Frauen, Knaben und
Mädchen mit gänzlich aufregungsloser Sachlichkeit
in ihrem ruhigen Dasein und Wesen gesehen sind;
max klinger
Ausstellung von Handzeichnungen in Dresden
akt
kein Dichter, kein Phantasiemensch, aber ein scharfer
Beobachter ohne jede Tendenz. Diese findet man
vielleicht eher in der charaktervollen Häßlichkeit,
die Käthe Kollwitz mit so tiefer seelischer Kraft
und männlichem Können paart. Die Frau mit dem
toten Kind im Arm, die schlafende Frau mit den
nackten Armen und den gefalteten Händen sind von
einer Wahrheit, die uns erschütternd an die Seele
greift. Hier ist Wahrheit, Tiefe des Empfindens und
kraftvolles zeichnerisches Können, wie man es selten
vereint findet.
Nicht minder stark persönlich sind Slevogt,
Die Kunst für Alle XXI.
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