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-^^> FÜNFUNDSIEBZIG JAHRE BELGISCHER MALEREI <$s^
Kunst auch nicht überschätzen. Umfassende
und überragende Geister fehlen in ihr fast
ganz. Sie hat auch keinen Courbet und
keinen Corot, keinen Feuerbach und keinen
Böcklin hervorgebracht
. Einmal hat sie
einen außerordentlichen
Einfluß ausgeübt,
das war, als im Jahre
1842 die Geschichtsbilder
Gallaits und de
Biefvesnach Deutschland
kamen und den
Anstoß zu jener koloristisch
- historischen
Malerei gaben, deren
Nachwirkungen in einigen
Ländern, wie Ungarn
und Polen, bis in
unsere Tage zu spüren
waren. Aber selbst die
Meister dieser Schule
standen nicht auf eigenen
Füßen, sondern
waren zum Teil von
den Franzosen, zum
Teil von den großen
Meistern der eigenen
Vergangenheit beeinflußt
. Franzosen und
ältere Niederländer
waren es auch, die auf
die folgende Generation
einwirkten, aber
nicht mehr Horace
VernetundDelaroche,
sondern Courbet und
die Meister von Bar-
bizon, nicht mehr Rubens
, sondern die Holländer
. Man suchte
nicht mehr die Stoffe
in der Vergangenheit,
sondern im umgebenden
Leben, man ging
nicht mehr auf leuchtende
Farben, sondern
auf harmonische Verschmelzung
diskreter
Töne aus. Neben
dem Bildnis gewannen
das Interieur, die
Landschaft, das Stillleben
die Oberhand. Die dritte Generation
endlich steht im allgemeinen unter dem
Zeichen der Freilichtmalerei und später des
Impressionismus.
Wenn sich die Künstler des Landes somit
HENRI LEYS (1815—1869)
als Bahnbrecher und Sucher neuer Pfade
kaum hervorgetan haben, so können sie dafür
andere Vorzüge in die Wagschale werfen:
einen gesunden Geschmack und eine außerordentliche
Solidität
des Handwerks. Fehlte
es auf der Brüsseler
Ausstellung an
überraschenden, verblüffenden
Bildern, so
doch auch an abstos-
senden oder bizarren;
sah man fast keine
kühnen Experimente,
so fand man doch
auch kaum irgendwo
den Abstand zwischen
Wollen und Können,
der geradezu ein
Charakteristikum der
deutschen Kunst des
19. Jahrhunderts ist.
Die belgische Kunst
hat etwas Dickblüti-
ges, zuweilen beinahe
Phlegmatisches, Titanisches
, himmelstürmendes
Wollen ist
ihr — mit Ausnahme
von Wiertz — ebenso
fremd wie gallischer
Esprit. Sie gleicht
gutem, sorgfältig gepflegtem
Weine. Man
ging nicht begeistert
oder erschüttert aus
der Brüsseler Ausstellung
nach Hause,
aber mit dem Bewußtsein
, in der Gesellschaft
wackerer Leute
gewesen zu sein und
mit der Zuversicht,
daß spätere Generationen
einen großen
Teil dieser Werke
nicht unwürdig finden
werden, den alten Galerien
angegliedert zu
werden.
Die älteste der drei
Generationen ist im
Brüsseler Museum so
reich und überreich vertreten, daß man von
ihr nur wenige Beispiele zu bringen brauchte.
Jeder Versuch, für die großen Maschinen der
Wappers, de Biefve, de Keyzer neues Interesse
zu erwecken, wäre zudem völlig aussichtslos
DER HEILIGE LUKAS
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