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-^£> VON AUSSTELLUNGEN UND SAMMLUNGEN <ö^^
edouard agneessens (1842—1885) dame in blau
seren Eindruck, als wenn sie im Feuer der Inspiration
, vor der Natur entstanden sind. Seine Studien
und Skizzen sind darum zweifellos immer ganz und
allein er selbst, und soviel neue Motive Liebermann
findet, soviel einzige und köstliche Werke bringt er
hervor. Man findet in dieser Ausstellung eine so
stattliche Zahl davon, daß der Ruhm und das Ansehen
des Künstlers durch sie erheblich vermehrt
und gestärkt erscheint. Natürlich sind die meisten
dieser neuen Schöpfungen schon in den Händen
der Sammler. In erster Reihe verdienen Liebermanns
im letzten Herbst gemalte Darstellungen der
>Judenstraße in Amsterdam« genannt zu werden.
Wer sich einmal in das Treiben dieser von Händlern
und Käufern, von Geschrei und Lärmen, von
tausend Dingen und Düften erfüllten Straße gewagt
hat, muß staunen, mit welchem fabelhaften Gelingen
Liebermann diese bunte, laute, wogende Welt festgehalten
hat. Die vielgestaltige, lebhafte Menge, die
sich vor Gemüseständen und wüsten Läden zwischen
den schmutzigbraunen Häusern drängt, scheint sich
— dank der Kunst des Malers! - - vor den Augen
des Beschauers zu bewegen. Es ist unmöglich, den
einzelnen zu erkennen; aber dieses Gewühl, aus
dem allerlei starke Farben an Kleidern und Tüchern,
von Gemüsen und Früchten hervorleuchten, hat
etwas Lustiges und Aufregendes, wie das Leben
selbst. Nur einer, der so schnell und sicher sieht,
wie Liebermann und ein so eminenter Maler ist,
konnte diese Fülle der Eindrücke künstlerisch bewältigen
. Diese drei Judenstraßen hier sind vielleicht
das Eigenartigste, was von einem deutschen
Maler in der letzten Zeit geschaffen worden ist.
Liebermann hätte kein besseres Argument für die
Stärke und Originalität seiner Künstlerschaft
liefern können. Gleich daneben aber darf ein
anderes Bild »Kinder, die zur Schule gehen«,
gerühmt werden. Rechts in der Straße das
Schulhaus, links einer der grünen holländischen
Plätze, über den die kleinen, meist
weißgekleideten Mädchen einzeln oder zu
Paaren ihrem Ziele zusteuern. Welche Frische
und Liebenswürdigkeit in der Malerei, wieviel
feine Beobachtung in der Wiedergabe des
Ortes, von Licht und Luft und der kleinen
fröhlichen Menschenkinder! Und bei aller
Helligkeit und Farbigkeit — welch' bezaubernder
Gesamtton! Ganz ausgezeichnet ist die
Studie zu dem Porträt Bodes in der diesjährigen
Künstlerbund-Ausstellung. Sie verdient
entschieden den Vorzug vor dem Bildnis
selbst. An frühere Leistungen Liebermanns,
an seine Spitalgärten, erinnert das im Besitz
der Wiener modernen Galerie befindliche
>Haus in Edam«; aber es ist farbiger und luftiger
als jene und jedenfalls ein höchst charakteristisches
Beispiel für des Künstlers Art.
Das gleiche gilt für einige Studien aus Noord-
wijk, die Liebermann bereits ganz bildmäßig
gestaltet hat. Ein anderes neues Bild, ein
»Sommergarten bei Leiden« — als Komposition
wohl des Künstlers bestes Werk
unter seinen Biergärten —wirkt vielleicht zu
kalt in seiner hellen Farbigkeit, um die tonschönen
, früheren Leistungen in malerischer
Beziehung zu übertreffen. Diesen und einigen
anderen Werken sind noch Zeichnungen und
Pastelle beigesellt, in denen Liebermanns
großeKünstlerschaft mindestens ebenso schlagend
zum Ausdruck kommt wie in seinen Bildern
. Auch hier Judenstraßen, Biergärten, Alleen
, alle die Themata, die er später gemalt hat.
Die meisten dieser Zeichnungen sind komplette,
über jedes Lob erhabene Meisterwerke. Liebermanns
Wirkung auf die Berliner künstlerische Jugend läßt
sich an Konrad v. Kardorff's neuen Bildern
beobachten. Es ist gewiß lobenswert, daß sich die
heranwachsenden Talente einen so hervorragenden
Künstler als Führer und Vorbild wählen; sie dürfen
sich die Sache jedoch nicht so leicht machen wie
Kardorff, der u. a. einen »Gasthofgarten« und eine
»Dorfstraße«, diese mit flatternder Wäsche im
Vordergrund, gemalt hat. Das sind bekannte Lieber-
mannsche Motive; aber sie vertragen durchaus nicht
eine nähere Prüfung und einen ernsthaften Vergleich
. Hier ist weder das innige, feurige Erfassen
der Wirklichkeit, das Liebermanns Bilder auszeichnet,
noch etwas von dessen großer malerischer Kultur.
Erfreulicheres hat der junge Berliner Maler in einigen
Stilleben geliefert, in denen er van Gogh und
Cezanne folgt. Auch der auf dem letzten Künstlerbund
so vorteilhaft hervorgetretene Leipziger Maler
Curt Tuch enttäuscht mit seinen hier vorgeführten
Bildern ein wenig. Er produziert sich mit einigen
Porträts, ein paar Landschaften und drei Stilleben.
Von den Bildnissen hat das eines alten, graubärtigen,
mit umgehängtem Paletot, barhäuptig, en face vor
einem grauen Grunde sitzenden Herrn gute malerische
Qualitäten. Breit heruntergestrichen, wirkt
es entschieden lebendig. Von den Landschaften ist
die eine zu hart in der Farbe, die zweite zu lichtlos,
aber gut gemalt. Den Stilleben fehlt teilweise die
Delikatesse. Irdene Blumentöpfe sind nur in vollendet
schöner Malerei angenehm zu sehen. Der Bildhauer
Georg Kolbe bietet in dem archaistisch behandelten
, aber trotzdem lebendig wirkenden Bronzekopf
seiner Gattin wieder eine sehr erfreuliche, sein feines
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