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-^^> FÜNFUNDSIEBZIG JAHRE BELGISCHER MALEREI <^^~
wurdenur durch
ein an guten Details
sehr reiches
, in derKom-
position aber unbefriedigendes
Bild mit einer
Fülle sich geradezu
überkugelnder
Frauenleiber
von Le-
veque („Rückkehr
von der
Weinlese") vertreten
.
Die Ehrenmedaille
hat der
greise Jean
Stobbaerts, der
berühmte Maler
der Küchen und
Ställe, erhalten,
ein ernster, ehrlicher
Künstler,
dessen Mal weise
uns heute aber
etwas fremd geworden
ist. Sie
wirkt wie eine
Verflauung
Courbets und
Millets, wie ein
Kompromiß zwischen
der älteren Tonmalerei und Freilichtprinzipien
. Auch die Armeleutemalerei in
der Art der achtziger Jahre spricht uns heute
nicht mehr recht an, weniger wegen der Wahl
der Stoffe als wegen des großen Formats,
das mit dem malerischen Interesse dieser unbedeutenden
Interieurs und Straßenszenen
nur selten im Einklang steht und wegen der
tendenziösen Unterstreichung des Elends. Es
ist ja nicht nur erklärlich, sondern geradezu
selbstverständlich, daß in dem Lande der
stärksten sozialen Gegensätze viele Künstler
mit den Armen und Schwachen sympathisieren
, ja sogar tätigen Anteil an dem Kampfe
gegen Plutokratie und Klerikalismus nehmen.
Künstlerisch zu fesseln vermögen uns ihre
Bilder aber doch nur, wenn sie den Stoffen
eine wirklich neue malerische Seite abgewinnen
. Und das ist eigentlich nur bei zwei modernen
belgischen Malern des Volkslebens der
Fall, bei Leon Frederic und Eugene Laer-
mans. Frederic konnte man in Lüttich nicht
kennen lernen. Sein Gruppenbildnis (Abb.
S.182)brachtezwarseineeigentümliche, flächige
Malweise, seine scharfe, leicht übertreibende
FRANCOIS DE LAMORINIERE
Art zu charakterisieren
, sein
herbes, zuweilen
gesucht hartes
Kolorit —
der Junge hat
einen knallroten
Anzug an — zur
Geltung, aber
nicht die in sei-
nengroßenTrip-
tychen hervortretende
Kunst,
Massen zu entwickeln
und sie
mit der Natur
zu einem großen
Eindruck zu verschmelzen
. Dagegen
war Laer-
mans' „Rückkehr
von der
Feldarbeit" (s.
Abb. S. 185)
nicht nur eine
der besten Arbeiten
dieses
eigenartigen
Künstlers, sondern
eins der fesselndsten
Werke
der ganzen Ausstellung
. Französische
Kritiker haben Laermans mit Brueghel
verglichen und dabei wohl an die „Blinden"
des Louvre gedacht. Auch seine Gestalten
haben einen eigentümlich fatalistischen Zug;
es ist, als gingen sie nicht freiwillig, sondern
würden von einem unwiderstehlichen Zwange
getrieben. Etwas fast an die Karikatur Streifendes
, aber keineswegs zum Spotte Herausforderndes
liegt in der Art, wie ihre Bewegung
charakterisiert wird. Die Farben sind
fast bunt —■ rotbraun, violett, blau, braun,
grün —, aber in dem Halbschatten vor der
hellbeleuchteten Kirchhofsmauer vorzüglich
zusammengehalten. Das Ganze hat etwas von
jener Farbenstimmung, die wir mit „oliv" zu
bezeichnen pflegen.
Emile Claus kann man eigentlich nicht mehr
zu den Malern des Volkslebens rechnen. Er
ist Licht- und Sonnenmaler, und es kommt
bei seinen Bildern erst in zweiter Linie in
Betracht, ob er ein Porträt oder eine Reihe
Menschen oder Tiere in sie hineinsetzt. Eine
Zeitlang war er in seinen Farben etwas brutal
geworden, hatte besonders die violetten Reflexe
utriert, seine „Schnitter" (Abb. S. 175), die
WEIDENDE KÜHE
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