Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 14. Band.1906
Seite: 98
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DIE BERLINER FÄCHER-AUSSTELLUNG 1905

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nachdachte, als die energische Urheberin
unseres Ausstellungsplanes, Frau Margarete
Erler, mir die unverdiente Ehre erwies, meine
Unfähigkeit zur Mitarbeit zu beanspruchen.
Man ist von unseren Damen Veranstaltungen
so entlegener Art gewohnt, daß sich diese
Ausstellungsidee mit dem Cachet einer angenehmen
Harmlosigkeit schmückte. Langsam
erwärmte man sich für den Plan. Die
Suggestion der Rekonstruktion ist unwiderstehlich
, auch wenn es sich um den Wiederaufbau
von Luftschlössern handelt. In Berlin,
der Stadt des Militärs in jeglicher Form, der
Stadt Wertheims und der Droschken zweiter
Güte, auf zarte Dinge zu sinnen, wird dem
Leser phantastisch erscheinen. Und doch ist die
Idee Tatsache geworden. Berlin macht alles, also
auch eine Fächer-Ausstellung. Vor acht Tagen
in der Börsenstunde wurde sie eröffnet. Die
Veranstaltung entbehrte nicht des Charmes.
Wir hatten uns eines der wenigen Lokale
Berlins gewählt, die noch nicht zu Bazaren
geworden sind. Behagliche Zimmer mit zierlichen
Rokoko-Möbeln. Darin wogte die Menge.
Jede Dame, die um 12 Uhr schon aufgestanden
war — und in Berlin steht man sehr früh
auf war erschienen, um sich die erste
Sensation des Winters nicht entgehen zu lassen.
Trotzdem bereuten wir die frühe Stunde. Die
Damen waren noch zu frisch. Das gesunde
Rot der soeben in Pontresina und Oberbayern
reparierten Backen ging mit den zarten
Tönen der Fächer nicht zusammen. Die Toiletten
waren durchaus nicht im Stil. Die bekannte
Nuance der Demi-Saison bei zweifelhaftem
Wetter, meistens noch aus dem Vorjahre
. Auch die Gespräche hatten noch rusti-
kanen Anstrich. Beileids-Beteuerungen für
die während des Sommers Verblichenen, Gratulationen
für die dazu Gekommenen. Der
Ton, mit dem man abends schließt, gibt nie
den Anfang des nächsten Tages. Man war noch
nicht drin, hatte noch keinen richtigen Hut,
keine richtige Coiffure, kein richtiges Gesicht,
fühlte sich eine Spur deplaziert. Und so
ging es einem auch bei den Worten, mit denen
j van de Velde die Herrschaften begrüßte.
Er sprach mit einem fast stilistisch wirkenden
, stark französischen Accent weniger
von den Fächern als von den Frauen, die
ihn trugen, und von denen, die ihn nicht
mehr tragen würden; sagte den Damen sehr
1 reizende Dinge und versuchte, die frostige
Feierlichkeit der matinalen Stunde zur lauschigen
Alkovenplauderei zu verwandeln. Es

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klang sehr schmeichelnd, wenn man im Gedränge
verborgen zuhörte. Man konnte wirklich
einen Moment glauben, nicht in Berlin zu
sein, und auf eine Zeit hoffen, die wieder
verstehen würde, mit Fächern umzugehen. L
Sah man aber dann das ernste Gesicht des
Sprechers, mit den von starkem Denken und
rastloser Energie frühzeitig ausgearbeiteten
Zügen, so kamen wieder Zweifel. Wir reden
allenfalls mal zierliche Dinge zum Zeitvertreib.
Bis zur Tat ist es weit. Wenn die Berliner
Damen wirklich so weit kämen, wieder zu
fächeln wie ihre Ahnen, denen Chodowiecki
die Fächerblätter bemalte, würden Herren da
sein, um sich scharmieren zu lassen?

Und doch ist die Tat, soweit es am Fächer
liegt, Ereignis geworden. Ein ganzes Heer
hat sich in die Vitrinen der Herren Friedmann
& Weber versteckt und wartet nur der
zarten Hände, um die Flügel zu regen. Im
Mittelpunkt des Hauptsaales steht die Vitrine
van de Veldes, der auch bei diesem Spiel
nicht vergaß, seiner Erfindung rationelle Wege
zu weisen und aus dem Gerippe der Stäbe
oder dem abschließenden Fries an der Peripherie
sehr elegante Motive gewann. Daneben ^
sind die zierlichen Arbeiten in allen möglichen
Techniken aufgebaut, die Frau Erler zugesteuert
hat, Dokumente für die Verfeinerung :
des bürgerlichen Geschmacks, die nicht der
Bedeutung entbehren. Daneben hundert andere
mehr oder weniger gelungene Dinge in der von
England und später von Wien propagierten
weißen Spitzenart, in Stickerei und anderer
Nadelarbeit, paillettiert, bemalt, gedruckt und
schabloniert, sogar - und zwar mit großem
Geschick gebatikt. Was Fleischer-Wie-
mans mit seinen Batikfächern für Veranda und
Garten geschaffen hat, steht obenan. Im ganzen
ein recht guter Durchschnitt. Man kann nicht
verlangen, gleich hingerissen zu werden, aber
wird von kaum einer Geschmacklosigkeit getroffen
. Die Ornamentik hat mittlerweile so-
viele Adepten gefunden, daß man wohl versteht
, den Halbkreis mit angenehmen Linien
zu bevölkern. Die ganze Stilistik der letzten
zehn Jahre spiegelt sich in der Ausstellung. L
Aber ich kann mir nicht helfen, sie ist zu
nüchtern für das feine Gliederwerk des Fächers,
und ich entdecke mich auf der atavistischen
Sehnsuchtnach den losen Meistern des 18.Jahrhunderts
, die auch zuweilen in verlorenen
Stunden für die großen Damen und für ihre
Geliebten Fächer malten. Von den Pariser
Glanzstücken, die das Signum Watteaus oder

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