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KUNSTMUSEEN, IHRE ZIELE UND GRENZEN
Unter diesem Titel veröffentlicht die neue,
als Beigabe zur „Allgemeinen Zeitung",
München, erscheinende „Internationale Wochenschrift
für Wissenschaft, Kunst und Technik
" aus der Feder des Geheimrats Wilhelm
Bode einen Aufsatz, der schon wegen der
Stellung des Verfassers als Generaldirektor
der Königlichen Museen in Berlin großes
Interesse beansprucht. Wir entnehmen den
Bodeschen Ausführungen die nachstehenden
Anregungen:
Der Besuch unserer Museen nimmt von
Jahr zu Jahr zu, alljährlich entstehen neue
Museen, und ununterbrochen tauchen neue
Pläne dafür auf, namentlich bei uns in Deutschland
. Kein Wunder, daß gelegentlich schon
der Ruf gegen die Museen erschallt, daß gerade
von kunstsinnigen Leuten die Museen als öde
Kunstmagazine gescholten werden und die
Rückführung der Kunstwerke in die alten
Kirchen und Paläste, für die sie gearbeitet
wurden, oder daß ihre Einordnung in allgemeine
„Kulturmuseen" verlangt wird.
Das Sammeln der Kunstwerke ist fast so
alt wie das Kunstschaffen, die Museen gehen
nur bis in das 16. Jahrhundert zurück, als
ein Bedürfnis empfand sie erst die neue
Zeit. Die großen Museumsbauten, die zur
Zeit Napoleons und wenig später entstanden,
haben die Aufstellung und zum Teil selbst
die Art des Sammeins vielfach beeinflußt:
in Paris bestimmten das Louvre, in London
das British Museum und das Victoria- und
Albert-Museum die Aufstellung und werden
sie voraussichtlich noch auf lange Zeit bestimmen
. In diesen Riesenpalästen wird selbst
bei geschmackvollster Aufstellung der ermüdende
Eindruck der Magazinierung nicht
ganz zu vermeiden sein. In Deutschland haben
die Museen ähnliche Uebelstände nicht oder
doch nur vereinzelt und in geringerem Maße:
wir leiden fast an dem Gegenteil, denn
bei uns sucht neuerdings fast jeder Sammlungsdirektor
die Lösung der Museumsbaufrage
in seiner eigenen Weise und fühlt sich
als ein Kolumbus in seiner Lösung, wenn er
dazu berufen wird. Auch dabei kommen die
Kunstwerke gar zu leicht zu kurz.
Die Ziele der großen internationalen Kunstmuseen
und die Anforderungen an dieselben
sind wesentlich verschieden von denen der
kleineren Lokalsammlungen. Während letztere
auf der lokalen Kunst basieren und an die
lebende Ortskunst anschließen sollen und in
der Beschränkung gerade ihre Stärke und
ihren besonderen Reiz haben, während sie
ihren spärlichen Besitz an Originalen durch
gewählte Sammlungen von Nachbildungen aller
Art wie durch Wanderausstellungen ergänzen
können, müssen jene großen Zentralmuseen
auf die Sammlungen der Originale das Hauptgewicht
legen und darin eine gewisse Vollständigkeit
und hohe Qualität der Kunstwerke
anstreben.
Bode führt dann im einzelnen aus, wie
selbst die unter den glücklichsten Umständen
und mit den reichsten Mitteln ganz systematisch
zusammengebrachten Galerien einen
großen Prozentsatz von Werken besitzen, die
nicht mehr im Niveau der Sammlung sind
und ohne Schaden ausgeschieden werden
könnten und fährt dann fort:
Eine solche Säuberung selbst der hervorragendsten
Sammlungen von Gemälden wie
von Bildwerken und Werken der Kleinkunst
wird das Gute und Ausgezeichnete zu reinerer
Geltung bringen und durch Abstellung der
Ueberfüllung zugleich eine günstigere Gesamtwirkung
ermöglichen. Oft hat man gerade
in den größten alten Sammlungen des Guten
zu viel getan; man hat von einzelnen Künstlern
eine Fülle von Werken aufgehäuft, die
dadurch ermüdend und abstumpfend wirken,
zumal wenn sie in einem Raum zusammengestellt
sind. Daß Geringwertiges oder gar
Schlechtes überhaupt nicht in Kunstsammlungen
ausgestellt werden sollte, und daß
zahlreiche kleinere Sammlungen durch solches
Mittelgut geradezu abschreckend und verbildend
wirken, brauchen wir wohl kaum hervorzuheben
. Daher erscheint die Abgabe von
Magazinware an die Provinzialsammlungen,
wie sie bei allen großen Zentralmuseen seit
Jahren beliebt ist, nur dann gerechtfertigt,
wenn solche Dinge auch wirklich künstlerischen
Wert besitzen, oder wenn sie für die Provinzen
einbestimmteshistorisches Interessehaben
oder zu Lehrzwecken verwendet werden können.
Die kleinen Museen werden sich überhaupt
zu hüten haben, das Vorbild der großen
einfach nachzuahmen, da sie ihnen weder in
der Mannigfaltigkeit noch in der Zahl der
Meisterwerke nahe kommen können, während
sie in der Kultivierung einzelner Spezialitäten,
im systematischen Sammeln alter Ortskunstusf.
sehr Achtungswertes leisten und das weiteste
Interesse erwecken können. Verfehlt wird
meist auch die Nachahmung bestimmter, an
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