Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 16. Band.1907
Seite: 96
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_16_1907/0110
AM SCHEIDEWEG

(Glossen zu Bruno Pauls Berufung nach Berlin)

Indes diese Zeilen gedruckt werden, wartet die
* deutsche Kulturwelt noch auf eine Entscheidung,
die, je nachdem sie fällt, unserer Entwicklung entweder
einen machtvollen Impuls nach vorwärts
bringen wird oder aber eine Enttäuschung; und eine
Enttäuschung ist immer gleichbedeutend mit einer
Depression, mit einem Rückschläge. Wird Bruno
Paul als Leiter in die Berliner Kunstgewerbeschule
einziehen oder nicht? Alle, die imstande sind,
die Tragweite dieser Frage abzumessen, müssen sich
sagen, daß mit der Pflicht, darüber zu entscheiden,
dem Deutschen Kaiser und König von Preußen eine
gewisse Schicksalsrolle zugefallen ist. Wenn ein Ruf
des Reichoberhauptes einen der ganz zweifellos
schöpferischsten und reifsten Künster der jungen
Generation auf den Posten beruft, der nun einmal
bei dem wirtschaftlichen Uebergewicht der Reichshauptstadt
den Ton angibt, so ist das gleichbedeutend
mit einem endgültigen Sieg des modernen
deutschen Kulturprinzips, gleichbedeutend mit
einer endgültigen Ueberwindung der unwürdigen
Nachäffung alter Stile, gleichbedeutend mit einer endgültigen
Ermannung aus der demütigenden Knechtschaft
unseres deutschen, unseres rassig-nationalen
Formenempfindens unter einer allzulangen Fremdherrschaft
.

Es handelt sich hier allerdings um eine von
den Fragen, deren grundsätzliche Bedeutung nur den
Männern fühlbar sein kann, die gewissermaßen als
die vordersten Vedetten den unermeßlichen Marschkolonnen
ihres Volkes voransprengen und bereits
das Land der Zukunft von einsamer Höhe aus sich
dahin breiten sehen im Glänze einer neuen Sonne,
deren ungewisser Widerschein den Rückwärtigen in
den Tiefen noch mehr Angst als Zuversicht einflößt.

Elemente, die sich der Gesundung unserer Verhältnisse
aus schwer zu durchschauenden Gründen
entgegenstemmen, haben im letzten Augenblicke die
Ernennung Pauls dadurch zu verhindern gesucht,
daß sie seine Mitarbeiterschaft am »Simplicissimus«
hervorzogen. Es ist wirklich empörend, zu sehen,
wie niedrig gewisse Leute und gewisse Zeitungen
einen Monarchen wie Wilhelm II. einschätzen, der,
man mag seiner Politik und seinem Charakter
sonst gegenüberstehen wie man will, sich doch allezeit
als einen Souverän von strenger P fl i c h tt r e u e erwiesen
hat! Wer darauf spekuliert, daß der Kaiser
die Ernennung Pauls so ohne weiteres ablehnen
werde, ohne erst einmal sich darüber zu vergewissern,
welcher Art die Mitarbeiterschaft Pauls an dem
Münchner Satirischen Wochenblatt denn überhaupt
war, der muß in der Tat eine traurige Vorstellung
von dem Monarchen haben. — Kein Mensch würde es
der preußischen Regierung verübeln, wenn sie einen
noch so genialen Künstler vom Staatsdienste fernhielte
, der die nihilistischen Tendenzen gewisser
Autoren des »Simplicissimus« mit dem Einsatz seines
Könnens und mit der suggestiven Kraft seines Genies
gestärkt und verbreitet hätte. Allein Bruno Paul hat
mit diesen Tendenzen nie auch nur das geringste zu
tun gehabt, und der ganze Positivismus seiner künstlerischen
Weltanschauung, sein schlichter, gerader
Sinn, der sich in den Formen seiner Raumschöpfungen
so überzeugend ausspricht, sie lassen vermuten
, daß er diese Tendenzen nicht einmal billigt.

Aber er ist ja nicht Redakteur des »Simplicissimus«;
er ist nichts, als ein illustrativer Mitarbeiter, der
seine »Sparte< bearbeitet, so gut er kann, und sich
wie jeder anständige Mensch, auf das beschränkt,
was er kann, und sich nicht um das kümmert, was
anderer Leute Sache ist. Bei der — für norddeutsche
und speziell Berliner Begriffe—einfach unglaublichen
Indifferenz und Engelsunschuld der
Münchener Künstlerschaft in politicis, ist es aber
wahrscheinlich, daß Bruno Paul sich gar nicht be
wüßt ist, daß das Blatt, in dem seine köstlichen
Zeichnungen so schön reproduziert werden, als so
maßlos staatsgefährlich gilt. Ihm kam's gewiß nur
darauf an, daß er im >Simplicissimusc so vollkommene
farbige Reproduktionen seiner Entwürfe erhielt;
alles andere war ihm wohl ziemlich — »Wurscht«.
Münchner Künstler sind nun einmal so. —

Pauls Spezialgebiet im »Simplicissimus« war das
denkbar harmloseste: Sächsische Kleinbürger, verschmitzte
oberbayerische Bauern, derbe Münchner
Vorstadttypen, Soldaten mit ihren »Kocherin«, gelegentlich
auch einmal Korpsstudenten mit verhackten
Schädeln oder Berliner »Salontyroler«. Wenn
man bedenkt, was der weiland kgl. bayer. Akademiedirektor
Wilhelm v. Kaulbach, der sich doch der
ganz besonderen Hochschätzung Wilhelms II. erfreut
, wenn man daran denkt, was der alles riskiert
hat an politischen Karikaturen hoher, höchster und
allerhöchster Herrschaften, den lieben Gott und den
Teufel miteingerechnet, dann muß Bruno Paul
wirklich als ein schuldlos Lämmlein auf grüner Heide
erscheinen. Kaulbach blieb trotzdem Akademiedirektor
, und Wilhelm Busch bekam zu seinem
70. Geburtstage ein herzliches Telegramm des Kaisers,
obzwar er im »Heiligen Antonius von Padua« und
anderwärts Hiebe gewagt hat, um die ihn der ärgste
Klopffechter des »Simplicissimus« beneiden müßte.
Man sieht: der Kaiser ist gar nicht so kleinlich und
so furchtsam, wie ihn der »Reichsbote« und gewisse
Dunkelmänner hinstellen und haben möchten.

Er, Wilhelm IL, hat ja auch den Entschluß gefaßt
, Bernhard Dernburg zum Kolonialdirektor zu
machen. Und Bruno Paul ist ein Mensch vom selben
Typ wie Dernburg; eine jener streng sachlichen,
sicheren, in sich beruhenden und wagemutig auf
ihr Ziel lossteuernden Naturen, die ganz genau
wissen, was sie wollen, die ohne Wimperzucken das
tun, was dem deutschen Volke heute not ist —jeder
auf seinem Gebiete und in seiner Art. Sie sind vollgültige
Typen der jungen, deutschen Idealisten-
Generation.

Wenn dieses Heft erscheint, wird die Entscheidung
wohl gefallen sein. Wie sie aber auch fallen mag,
sie wird eine prinzipielle Bedeutung haben. Die
bayerische Regierung ist diesmal — das muß man
ihr lassen - auf dem Posten gewesen. Sie will den erfolgreichen
Künstler an München fesseln. Wird Paul
nicht Direktor in Berlin, gut, so wird er in München
an eine Stelle treten, die ihm unter anderen, aber
deshalb noch nicht ungünstigeren Bedingungen gestatten
wird, mit den übrigen führenden Geistern
des jungen Deutschland fortzuschaffen an der großen
kulturellen Erhebung unseres Volkes. Wir Münchner
würden ihn nur mit Trauern von uns ziehen sehen ! —

Benvenuto

Für die Redaktion verantwortlich : h. BRUCKMANN, München.
Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., München, Nymphenburgerstr. 86. — Druck von Alphons Bruckmann, München.


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