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-^=4^> ERINNERUNGEN AN DEN MÜNCHENER ALLOTRIA-KREIS <^=^
scharf vorbeigestreift. Zu dem Mittagstisch
in der Veltliner kam er eines Tages blaß
und verstört hereingestürzt, fiel fast bewußtlos
auf den nächsten Stuhl, nur noch die
Worte vorstammelnd: „I han Chloroform ge-
trunke." Zum Glück war der Ober- und
Unterleibsarzt der ganzen Sippe anwesend,
„der Dokter". Dieser war nicht allein der
Arzt ihrer Körper, sondern ebenso auch ihrer
Seelen, denn er sang die schönsten Schnadahüpfl
und verstand sie vortrefflich mit der
Gitarre zu begleiten.
„Der Dokter" nahm sich nun den Stäbli
vor und durch Einfüllung von schwarzem
Kaffee und mit Frottieren brachte er ihn allmählich
wieder soweit zum Bewußtsein, daß
er den Hergang erzählen konnte: In
letzter Zeit hatte er zum Palettenputzen
statt Terpentin dies gottverdammte Zeug
benutzt, und da er gerade Durst verspürte
, die Augen aber noch mit seiner
Malerei beschäftigt waren, reckte er
seine Hand nach altgewohnter Weise
nach dem Fensterbrett und hatte anstatt
des erfrischenden Kirschwassers dies
Sau-g'süff ergriffen.
Eine Gelbsucht war die Folge dieser
Verwechslung der Flaschen. Diese Krankheit
überwand er wohl, aber die Reblaus
blieb ihm treu, ergriff ihn immer mehr,
bis sie ihn endlich in das Grab brachte.
Der Guschtav Schwabemaier bekam
die Wassersucht. In der Schloßwirtschaft
zu Schleißheim verbrachte er die letzte
Zeit. Fast alle Tage besuchten ihn aus
München seine Freunde. Sie hatten die
Taschen und Arme voll von Mitgebrachtem
, wie er es liebte: Flaschen von Portwein
und Sekt, selbst Schachteln schwedischer
Streichhölzer und hauptsächlich
Zigarren. Wer nichts brachte, war auf
Zeiten hinaus, bis er sich besserte, seiner
Ungnade verfallen. Strathmann und
seine Frau, die zufälligerweise nichts da
hatten, konnten sich nur durch alle möglichen
Versprechungen für das nächste
Mal loskaufen. Da die Tage dahingingen,
ohne daß sie sich bei Schwabemaier
wieder sehen ließen, bekamen sie folgendes
Gedicht auf einer Postkarte zugesandt
:
»Einzig ist dies Ehepaar.
Was er verspricht, verspricht auch sie,
Doch ein Versprechen, das ist klar,
Das er vergißt, vergißt auch sie.
Hat Karl den Mund weit aufgerissen,
Sein Weiberl schließt ihn zu mit Küssen,
Ja, glücklich sind die zwei vereint.
Herzlichen Gruß! Ein kranker Freund!«
Des Wassers wurde immer mehr. Mit philosophischer
Ruhe sah er den Operationen der
Abzapfung zu, in der Rechten ein Glas Rotwein
, das er in Zwischenpausen zum Munde
führte. Wie es schon ganz auf die Neige
ging, traf seine Schwester ein, um ihn zu
pflegen. Meistens war er bettlägerig, durch
seine geliebte Fläsch wurden seine Lebensgeister
immer noch neu belebt. Als er nun
wieder halb träumend dahinduselte, trat seine
Schwester zu ihm:
„Guschtävle!" fragte sie leise, „willst du
vielleicht ein Glas Sekt?"
Er aber rief ihr die landläufige Münchnerische
Aufforderung, aus vier Worten bestehend, zu,
wandte ihr den Rücken — und war tot.
JOHN S. SARGENT
VICTORIA STANLEY
Die Kunst für Alle XXIII.
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