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^=^> WILHELM VON DIEZ <^=^
W. VON DIEZ
DIE VERSUCHUNG DES HL. ANTONIUS
Galerie Thomas Knorr, München
die merkwürdige „Versuchung" der Galerie
Knorr in München (Abb. obenstehend), ein Bild,
auf dem der bejahrte Künstler auf einmal einen
Frauenakt von warmblütiger, froher Sinnlichkeit
dargestellt hat — die große Studie dazu
hängt im Münchner Glaspalast und ist mit
erstaunlicher Sicherheit und Frische gemalt.
Seine Kraft war noch ungebrochen und sein
Geist regsam genug, wenn's nötig war, auf
ganz neuem Felde zu ernten.
Wie die Eigenart des Malers sich von seinen
Kindertagen an entwickelt hat, das hat vor
beinahe zwanzig Jahren der frühere Herausgeber
dieser Zeitschrift zu Diezens fünfzigstem
Geburtstage ausgeführt. Es sei hier kurz noch
einmal ins Gedächtnis zurückgerufen: Wilhelm
Diez, am 17. Januar 1839 in Bayreuth
geboren, war der Sohn eines Pastors. Den
unabhängigen Sinn erbte er vom Vater, der
ob seiner liberalen Weltanschauung sein Amt
verlor und nicht eben in üppigen Vermögensumständen
lebte. Auch Kinder gab's genug
im Hause. Der Junge fing früh an, sein Talent
zu zeigen und zu üben und wie in vielen
anderen Künstlerbiographien liest man auch
von ihm, daß er in der Schule durch freventliches
Abkonterfeien würdiger Lehrer sich
schwere Unannehmlichkeiten zugezogen. Er
zeichnete, was er sah, Menschen und Pferde
und mit Vorliebe alles, was ein wenig abenteuerlich
und zigeunerisch erschien, Kunstreitervolk
und Jahrmarktsgesindel. Der Zeichenlehrer
der Gewerbeschule, auf die er
mit zwölf Jahren gebracht wurde, bewog den
Vater, dem Talent des Knaben einen Weg zu
eröffnen und ihn auf die Münchner Polytechnische
Schule zu schicken, als Wilhelm noch
nicht vierzehn Jahre alt war. Und wieder zwei
Jahre später kam er an die Akademie, wo er
sich freilich nichts weniger denn als Musterschüler
gebärdete. Die Gipsherrlichkeiten des
Antikensaales ließen ihn so kalt, als sie selber
waren — was ihn anzog, war das Leben, das
urwüchsige, derbe Leben, wie es das alte
München damals noch ohne Zutat von der
gewissen proletarischen Roheit zu kosten gab.
Der junge Maler zog mit seinem Skizzenbuche
und vor allem mit offenen Augen in den Münchner
Kneipen und Vorstadtwinkeln herum
und suchte sich just die verwittertsten und
verwunderlichsten Gesellen zum Umgange.
In diesem eigentümlichen Kreise beobachtete
er die bunte, derbe und lustige Gestaltenwelt,
die später in seinen Bildern weiterlebte, aus
nächster Nähe, und trug eine unerschöpfliche
Fülle von Typen im Skizzenbuch und im Ge-
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