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-^-4^> ERINNERUNGEN AN DEN MÜNCHENER ALLOTRIA-KREIS <^M?-
W. VON DIEZ
RAST
gleichen hat. Damals wurde es für die Eingeladenen
und Mitglieder reproduziert. Er
selbst, Lossow, hätte beinahe den Staatsanwalt
auf den Hals bekommen, denn die Feststimmung
war so animiert gewesen, daß der
größte Teil morgens früh noch zum Donysl
zu Weißwurst und frischem Anstich ging.
Dabei waren denn eine große Anzahl der
Prachtblätter liegen geblieben und prüdere
Gäste, die sie in die Hand bekamen, fühlten
ihr Schamgefühl aufs äußerste verletzt.
Heute ist nur noch ein von der Zeit vollständig
zerschlissenes Exemplar in der Bibliothek
der Allotria zu sehen.
Mitder Vergrößerungdes Lokals inderBarerstraße
wurden auch die Feste dementsprechend
reichhaltiger und umfangreicher, ja man kann
wohl sagen einzig dastehend in der Welt. Waren
doch die ersten Kräfte in Musik, Gesang und
Schauspielkunst gerade gutgenug, dieses launige
Künstlervölkchen zu amüsieren. GurasangBal-
laden, Nachbaur, der Brillantennazi genannt, seinen
ewigen Postillon, derGeneralmusikdirektor
Levy gab hin und wieder etwas auf dem Klavier
zum besten, der Fischer-Franzi die wuchtigen
Kompositionen Wagners und der Komiker Dreher
seine Schwänke. Auch der Tenor Kraus hat
sich hier hören lassen und vier Musiker aus der
Hofoper bildeten eine ständige Kammermusik.
Alljährlich, falls nicht sonst noch mehreres
zu feiern notwendig war, wurde und wird noch
das Stiftungsfest feierlich begangen. Dann
waltete die „Tante" — so wurde der Maler
Laeverenz genannt — ihres Amtes und las
mit weicher, eindringlicher Stimme die Bierzeitung
vor; auch alle Anträge gingen durch
sie an den Präsidenten Lenbach. Dieser hielt
seine stolpernde, aber immer sachliche Festrede
im derbsten Niederbayrisch.
Auf ein Klingelzeichen verstummt die lärmende
Unterhaltung; wie der Vorhang sich
hebt, bietet sich den Augen ein wundervolles
Bild auf der Bühne dar.
Man hört zuerst gar nicht die Musik, die
bereits eingesetzt hat, so sind alle Sinne von
der fabelhaft raffinierten Dekoration und dem
Kostüm der Menschen, die dort oben agieren,
eingefangen: Ein Park mit Marmorfassaden
und Zypressen. Die Musiker in weitwallenden
antiken Gewändern, nackte schöne Kinder
hielten ihnen die Noten.
Es konnte wohl auch geschehen, wenn der
größere Schwärm weg war, gegen Morgen, und
der Fischer-Franzi die Virginia im Mundwinkel
seine donnernden Wagner-Akkorde aus
dem erzitternden Klavier herausholte, daß die
Kellnerinnen aus der vorderen Wirtschaft
hineinschlichen und den Spielenden umzingelten
: „Gengen's zu, Herr Profeesser,
hören's auf! un spüelen's ein Frangßä."
Gehorsam ändert Fischer-Franzi den Rhythmus
: Die Paare schwenken herum, chassieren
vorwärts und rückwärts. Mit Juhu und frenetischem
Gelächter wird die grande-chaine in
die Runde getollt und als das Schluß-en-avant
mit aufgerafften Röcken und hochgeworfenen
Beinen den Boden erschüttert, huschen die
Mäuse in ihre Löcher zurück und die paar
übrig gebliebenen Hunde wimmern und heulen
in ihrem gestörten Schlaf.
Die Kunst für Alle XXIII
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