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-^=^> AUS DEN BERLINER KUNSTSALONS <^=^
Titel paßt nicht: neben die graphischen Blätter sind
noch etwa zwei Dutzend Plastiken gestellt. Hielt man
das Haus der Secession für zu groß, so sind die
gewählten Räume zu klein, und der verantwortlichen
Hängekommission möchte man einen praktischen
Kursus bei den Akademikern am Pariser Platz
empfehlen. Man hätte lieber die alten Meister fortlassen
und dafür den lebenden mehr Raum gönnen
sollen, wenn auch die alten — eigentümlicherweise
sämtlich Franzosen: Puvis de Chavannes, Dau-
bigny, Daumier und Delacroix — für die jungen
eine vorzügliche Folie abgeben und oftmals den
Stammbaum der modernen Kunst in der lebendigsten
Weise illustrieren. Vielleicht ist es auch kein
von Ignatius Taschner, von dem auch sonstige
figürliche Zeichnungen und Vignetten erfreuen. Das
Interessanteste der ganzen Ausstellung aber dürften
die Lithographien zur »Ilias« von Max Slevogt
sein, vor denen es einem humanistisch eingeschworenen
Philologen allerdings grausen wird. Slevogt
beweist in diesem Zyklus wieder, daß er einer unserer
besten Bewegungskünstler ist; köstlich ist das
Blatt mit der Verfolgung Hektors: Hektor läuft mit
mächtigen Sprüngen dicht an der hohen Stadtmauer
entlang, während hinter ihm Achilles prestissimo
um die Ecke saust. Diese verschiedenen Tempi sind
ganz zwingend zum Ausdruck gebracht. Aus Paris
sind — außer dem verstorbenen van Gogh, von
Zufall, wenn man z. B. Corinth's prachtvolle Zeichnung
nach Michelangelo in die Nähe der drei mächtigen
Akte von Daumier gehängt hat. Von mehreren
Künstlern sind größere Kollektionen ausgestellt
; so sehen wir von Klimt eine ganze Reihe
seiner subtil gezeichneten dekadenten Frauen, für
die kein härterer Gegensatz zu denken ist, als der
Gossenzyklus von Hans Baluschek. Max Liebermann
zeigt sich in verschiedensten Techniken, ebenso
Edvard Münch, der einige glänzende Porträts
geschickt hat, die — abgesehen von den ganz ma-
nirierten Holzschnitten — den Wunsch rege machen,
daß der Künstler mehr Stift und Stichel als den
Pinsel zur Hand nehmen möchte. Köstlichster
Humor und fabelhaft prägnante Linienführung spricht
aus den bekannten Zeichnungen zum »Heiligen Hies«
dem einige vorzüglich gezeichnete Landschaften und
pathologisch interessante Porträts vorhanden sind —
Matisse, Maillol und Theo van Rysselberghe
mit mehreren Werken erschienen. Fast nur Akte;
von dem Letztgenannten u. a. eine prachtvoll durchgeführte
Studie zu »Le Ruban ecarlate«; von Maillol
nur Umrißzeichnungen von einer verblüffenden Intensität
des Ausdrucks bei einer Reduktion auf die
elementarsten Bewegungsformen. Von Maillols Einfluß
verspürt man etwas bei den ungemein breit
angelegten Aktstudien von Georg Kolbe, dessen
Bronzefigur eines knienden Mädchens diese Prinzipien
prachtvoll ins Plastische übersetzt zeigt. Aehn-
liche Tendenzen machen sich bei der >Knienden<
von Karl Albiker (Ettlingen) bemerkbar. Zu den
beiden russischen Bettlerfiguren aus Steinzeug, die
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