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-3-^> DIE KÜNSTLERISCHE MEDAILLE UND IHRE GESCHICHTE <^-^
dem Einfluß des Barockstils
mit seinen starken
Akzenten und rauschenden
Effekten gerät das
feine Gefühl für Stil und
Charakter dieser auf intimste
Wirkungen gestimmten
Kunst ins Wanken
, und es bereitet sich
eine Epoche des Niederganges
vor, die in immer
sich steigerndem Tempo
fast zur völligen Auflösung
führte. Die an Stelle
des Gusses aufgenommene
Medaillenprägungmit ihrer
Begünstigung einer Massenproduktion
untergräbt
das Gefühl für künstlerisches Wesen, die
Ansprüche auf künstlerische Wirkung. Mit
der Technik näherte man sich der Form und
dem Charakter der gleichzeitigen Münze. Wie
bei dieser wird unter dem Druck des Prägestockes
der Grund zur glatten, neutralen Fläche,
ja man ging so weit, diesen spiegelblank zu
polieren und löste damit die Einheit mit dem
in kalter Härte aufsitzenden Relief vollkommen
auf, ein letzter Versuch, einen eigenen Me-
daillensf/Z zu schaffen, der dann endlich bei
der völligen Negation, der traurigen Karikatur
ehemaliger Stilgröße und Stileinheit angekommen
war.
Welchen Tiefstand die Entwicklung so allmählich
erreichte, deß wird man mitbeschämender
Deutlichkeit inne, wenn man die Medaillenprägung
des verflossenen Jahrhunderts, namentlich
in Deutschland, überschaut, die noch
immer schwunghaft betrieben wurde und bei
allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten
mit ihren Produkten hervortrat. Aber
sie war zu völliger Bedeutungslosigkeit
herabgesunken
, daß sie je etwas
mit Kunst zu tun gehabt
hatte, war vollkommen
in Vergessenheit geraten
. Die Künstler kümmerten
sich nicht um die
Herstellung der Medaillen,
und der Kunstfreund konnte
an den schematischen
Erzeugnissen maschineller
Fertigkeit kein Interesse
nehmen.
Dieses ruhmlose Ende
mußte erst eintreten, ehe
man sich besann, daß es
einst anders gewesen war
j. c. chaplain « juvat scientia laborem
und wohl wieder anders
werden könnte und müßte.
Das Heil ging von Frankreich
aus, wo die Medaillenkunst
eine neue Renaissance
erlebt hat, in der
wir mitten innestehen. *)
Man knüpft den Aufschwung
an das Auftreten
und Wirken eines Mannes :
Hubert Ponscarme, der
mit seiner Medaille auf
Joseph Naudet(Abb.S.194)
eine energische Absage an
die geheiligten Gesetze des
bisher gültigen Medaillenstiles
erließ. Verschwunden
ist da die spiegelnde
Fläche des Medaillengrundes, verschwunden
der beengende Rand, groß und frei sitzt der
Kopf im Räume, diesen beherrschend, so daß
der Eindruck monumentaler Würde erreicht
wird, ein Werk aus einem Guß das Ganze.
Da war ein neuer Medaillenstil geschaffen,
oder richtiger gesagt, der alte, echte zurückerobert
, aber nicht durch trockenes Nachahmen
der alten Vorbilder, sondern durch feinfühliges
Sichversenken in die Wesenstiefen eines künstlerischen
Organismus, die, an die Oberfläche
heraufgeholt, einer inneren Triebkraft folgend
sich scheinbar von selbst unter der Hand des
Künstlers zum sinnlich eindrucksvollen Bilde
formen : wie man denn eben zum Stil kommt.
Die Medaille war rehabilitiert, hatte ihre
Ansprüche., künstlerische Beachtung zu finden,
glänzend gerechtfertigt. Die Bedeutung und
der Reiz der Aufgabe entfesseln einen Strom
künstlerischer Kraft in Frankreich, es erstehen
Meister der Medaille, die ihre ganze Energie
und ein bedeutendes Können ausschließlich
j. c. chaplain * jeanne mathilde claude
*) Ueber die Entwicklung
der französischen Medaillenkunst
gibt einen kurzen, trefflich
orientierenden Ueber-
blick das Buch von Roger
Marx: Les medailleurs fran-
cais depuis 1789 (Paris 1897).
In Deutschland hat A. Licht-
wark mit seinem bekannten
Buche:»DieWiedererweckung
der Medaille« sich das große
Verdienst erworben, durch
feinsinnige Erörterung vom
Wesen und der Bedeutung der
Medaille wie durch den Hinweis
auf die hohe Blüte dieses
Kunstzweiges in Frankreich
die Aufmerksamkeitaufdieses
bei uns damals noch arg vernachlässigte
Gebiet hingelenkt
und dadurch anregend und fördernd
gewirkt zu haben.
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