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-sr4^> ALBERT VON KELLER <^=^
zigerfahrendurchDuPrel in München salonfähig
wurde, ein künstlerischer Dolmetsch zu werden
. Er appelliert ja in gar manchen seiner
raffiniertesten und farbig pikantesten Bilder
an eine Art sechsten Sinn in uns, von kaum
wahrnehmbarem, körperlich-geistigen Tastsinn.
Von da aus ist nur ein kleiner Schritt in das
Reich der vierten Dimension. Auch hierin ist
Keller ein Eigenartiger und Einzigartiger geworden
, der alle weit hinter sich läßt, die das
gleiche Gebiet zur Darstellung brachten. Schon
wie Keller die Medien selber gibt! Da sehen
wir die Halbfigur einer Somnambule mit leicht
nach rückwärts gebeugtem, wie angelehnten
Kopf — als schlürfe sie ein Narkotikum, das
ihre Augen zufallen läßt und sie zum willenlosen
Werkzeug fremder Einflüsse macht
(Abb. Jahrg. 1904/05 S. 351). Auch die Haut
ALBERT VON KELLER • KLEINE PARISERIN (1883)
scheint in der müden, welken Art ihres matten
Glanzes unter dieser Schlafsuggestion zu stehen
. Selbst die Haare hängen, wie in einem
schwerenDämmerzustand befangen,schlaff herunter
. Das Stück Brokatvorhang mit seinem
gleißenden Schimmer ist wie das Oszillieren
jener geheimnisvollen Welt im Innern des
Mädchens. Den Höhepunkt seiner Fähigkeit,
alle Phasen der Hypnose physiologisch-psychologisch
darzustellen, erreicht Keller in den
Bildern der französischen Schlaftänzerin Madeleine
(Abb. 1904/05, S. 356 —58). Wir sehen
sie in geisterhaft-seliger Verzückung eines
berauschten Schauens, aber auch in einer
wahnsinnigen Angst vor gräulichem Geschehnis
, in einem qualvollen Horchen auf schreckliche
Offenbarungen. Und dazu malt Keller
noch den entsprechenden Hintergrund in einer
tiefen, graublauen, grünen Nacht, in goldig
übersponnenen Bergen oder in phosphoreszierenden
Wänden. Den Körper der Hypnotisierten
gibt er in helleuchtende Tücher gehüllt
oder wie eine galvanisierte Leiche, der
noch einmal alle Sinne sich öffnen, alle Fibern
zucken.
Aus solchen Zuständen erstehen Keller
ganze Visionen, deren Eindruck er rein koloristisch
zu vermitteln weiß: da herrscht grauschwarze
oder grünblaue Nacht, in der grellgelbes
Licht wie explodierende Wolkenbündel
aufzuckt; in deren Schein sehen wir zusam-
mengekauerte, erschreckte Menschen um ein
aufragendes Kreuz sich drängen; manchmal
erscheint das Ganze auch als Gesicht ekstatischer
Frauen.
Gerne benützt Keller derartige Erlebnisse
und Sensationen auch dazu, um das Seltsame
des Hexenschlafes (Abb. S. 223), das Mystische
einer Krankenheilung (Abb. S. 228) oder sonstige
Aeußerungen einer übersinnlichen Welt
in ihrer Unergründlichkeit ahnen zu lassen.
Das edelste und reifste Werk derart und zugleich
eine der großartigsten Schöpfungen der
modernen Kunst überhaupt, von Menzel bewundert
und den Jüngern immer noch als staunenswertes
Vorbild studiert, ist die „ Auferweckung
von Jairus Töchterlein" (Abb. S. 227 u. 1896/97
S. 191/192). Man muß dazu die acht Studien in
der Ausstellung betrachten, von denen manche
selbständigen Bildwert hat. Bald erscheint
Christus als Geisterseher, Zauberer, Magier,
der sich selbst berauscht, hypnotisiert, fana-
tisiert, um die Kraft der Auferweckung aus
sich herauszulocken. Dann wieder zeigt er
eine intensive, ruhigsich ausströmendeWillens-
energie, die mit einem Akt das Gewollte vollbringt
. Auf anderen Studien charakterisiert
Keller das Geheimnisvolle des Vorganges durch
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