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-s-lö» VON AUSSTELLUNGEN UND SAMMLUNGEN <^=^
Und wie einst die Renaissance der menschlichen
Figur ihre schattenhafte Kühle genommen
und sie zu uns sprechen gelehrt
hat in menschlichem Jubel und Weh, so
haben jetzt wir die Landschaft selbst sprechen
gelehrt, sie ist nicht mehr leer — auch ohne
Staffage!
VON AUSSTELLUNGEN
UND SAMMLUNGEN
OERLIN. Der Salon Gurlitt begrüßt uns im neuen
Jahre mit einem großen Böcklin: »Malerei und
Dichtung«; nicht das bekannte Bild mit dem Lorbeerhain
als Hintergrund (in Breslauer Besitz), sondern
eine spätere Redaktion mit einem eigentümlichen
roten Säulenrundbau, der der Komposition
zwar einen festeren Halt gibt, aber mit seiner unorganischen
, nicht recht kontrollierbaren Architektur
dem Ganzen nicht gerade zum Vorteil dient. —
Landschaften schließen sich an von Hans Busse
und Paul Höniger (Berlin) und einige beachtenswerte
koloristisch fein abgetönte Aquarelle von Berta
Scharfenberg-Kalkhof, breit verwaschene stimmungsvolle
Heidemotive von einfacher, großer Fassung
. Alice Trübner beweist wieder ihr im Fahrwasser
des großen Lehrers treibendes feines Talent.
Eduard Schulte hat uns in dankenswerter Weise
die große Kollektion der Diez-Schule vorgeführt,
über die schon auf Seite 178 des laufenden Jahrganges
berichtet worden ist. August Heer ist
mit mehreren recht guten Plastiken vertreten, und
von Troubetzkoi ist eine prachtvolle impressionistische
Bronzegruppe »Mutter und Kind< ausgestellt
. Weniger erfreulich erscheinen mehrere
Wände voll großer Porträts, die von G. Bernhard
Österman mit viel Routine und von Philipp
Laszlo mit — allerdings meist recht geschmackvollem
— Eklektizismus gemalt sind. Von den
Wiener Künstlern, die hier geschlossen auftreten,
seien genannt G. Klimt mit einigen Proben seines
unerhört raffinierten Farbengeschmackes, Wilhelm
List, der mit Pomp, aber wenig Glück in Klimt-
schen Pfaden wandelt; ferner Carl Moll, von dem
einige feine Landschaften und moderne Interieurs
ausgestellt sind, sowie, seiner neuen Auffassung
wegen, die Darstellung eines nackten, von dünnem
schwarzen Schleier halb verhüllten jungen Mädchens.
Es steht vor einer gelben Wand, neben sich einen
kleinen Renaissancepokal, eine blaue Vase und die
Totenmaske Beethovens. Gemalt ist es von John
Adams und segelt als Porträt unter dem Namen
»Lilly B.< Warum wird die Anonymität des schönen
Modells nicht ganz gewahrt? Daß die junge Dame
Lilly heißt, kann uns doch wahrlich höchst gleichgültig
sein. Goya allerdings hat ja auch seine nackte
»Maja« gemalt.
Etwas anderes ist es, und will wohl auch mehr
als ein Witz aufgefaßt werden, wenn sich uns Louis
Corinth bei Cassirer als Halbakt vorstellt. Wurfbereit
hält er ein Glas Wasser in der Hand, als ob
er sagen wollte: »Wenn Ihr Euch über mein Exterieur
etwa lustig macht, dann . . . !« Von Corinth
albert von keller
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herbst (1894)
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