Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 17. Band.1908
Seite: 300
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_17_1908/0366
-^£> DAS GESETZ DES STILWECHSELS IN DER KUNST <&£**~

zwischen den einzelnen Jahrhunderten macht,
daß er keineswegs dem 14. Jahrhundert ein
gewisses stilvoll dekoratives Streben, dem 15.
einen nüchternen und übertriebenen Naturalismus
und dem 16. wieder eine stilisierende Tendenz
unterschiebt. Vielmehr ist die Entwicklung
nach seiner Auffassung eine durchaus einheitliche
gewesen. Alle Maler der verschiedenen
Perioden haben nach der denkbar größten
Naturwahrheit gestrebt, d. h. die Natur so
genau und so überzeugend darzustellen gesucht
, wie ihnen das nach der jeweiligen Stufe
ihrer Kunst nur immer möglich war. Ihr
Unterschied besteht lediglich darin, daß den
späteren Künstlern die Naturnachahmung noch
besser gelungen ist als den früheren, weil sie
die Anatomie des menschlichen Körpers besser
kannten, die Perspektive in höherem Grade
beherrschten usw.

Dieser Auffassung liegt offenbar ein einseitig
naturalistischer Standpunkt zugrunde,
d. h. die Meinung
, daß es in
der Kunst eben
nur auf Naturwahrheit
ankomme
. Am reinsten
vertritt diesen
Standpunkt
Lionardo da Vinci
. Das zeigt sich
besonders an
seiner Auffassung
des Raumproblems
. Malerei
istnach ihm
einfach Darstellung
körperlicher
Dinge auf
der Fläche. Das
erste Wunder,
das die Malerei
wirkt, ist das,
daß sie die Gegenstände
des
Bildes von der
Fläche loslöst,
die Leinwand

oder Mauer
scheinbardurchbricht
und weite
Ebenen so schildert
, als ob der
Raum Hunderte
von Meilen in
die Tiefe ginge.
„O wunderbare

Sache, ungreif- henryk glicenstein

bare Dinge greifbar, ebene erhaben, nahe befindliche
weit entfernt erscheinen zu lassen!
Das Relief, d. h. die durch Helldunkel erzeugte
plastische Modellierung der Formen
ist die Seele der Malerei."

Uns erscheint es seltsam, daß Lionardo auf
eine so elementare Sache, die heutzutage jeder
Kunstschüler an den Kinderschuhen abgelaufen
hat, so viel Wert legt. Aber man muß
bedenken, daß die Mittel zur Erzeugung der
Raumillusion damals teilweise erst gerade
ausgebildet waren, teilweise, wie das Helldunkel
, erst von Lionardo selbst ausgebildet
worden sind. Da mochte ihn wohl der Triumph
über die neue Errungenschaft zu der Meinung
verführen, daß es in der Malerei einzig und
allein auf räumliche und plastische Illusion
ankäme. ; Noch seltsamer könnte es scheinen,
daß er, der Meister des hohen Stils, gar nichts
von Stilisierung, von Verschönerung der Natur,
von dekorativer Wirkung sagt. Aber das beweist
durchaus
nicht, daß er
dieseDinge,d.h.
die illusions-
störenden Elemente
für nichts
geachtet hätte,
sondern nur, daß
sie ihm viel zu
sehr in Fleisch
und Blut übergegangen
waren,
um einer besonderen
Erwähnung
zu bedürfen
. Man
wird sich die
starke Wirkung
der klassischen

Kunstwerke
überhaupt zum
Teil daraus zu
erklären haben,
daß ihre Meister
geradeswegs auf
die Natur losgehen
konnten,
weil sie sich im
Vollbesitz der
technischenMit-
tel, d. h. der
künstlerischen
Formulierung
der Natur fühlten
. Besonders
ihre völlige Be-
jugend herrschung der

300


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