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-s-^> DAS GESETZ DES STILWECHSELS IN DER KUNST <ö^=^
Größe seiner Architekturen im Vergleich
zu den Personen viel zu gering. Noch Jan
van Eyck kennt keine exakte Perspektive.
Erst die Italiener des 15. Jahrhunderts bilden
die Gesetze der Perspektive aus und erzeugen
damit jene frappanten Raumillusionen, die
noch von Vasari bewundert wurden. Nachdem
das Problem in linearer Richtung gelöst war,
ging man daran, es in der Richtung des Helldunkels
zu lösen. Rembrandt und seine
Genossen, die Jan Vermeer van Delft, Pieter
de Hooch usw. schufen das auf Licht und
Luft und Farbe aufgebaute Interieur. Und die
neueren Realisten wie Menzel konnten diese
Tendenz nur weiter verfolgen, durch immer
größere Feinheit in der Abstufung der Farben-
valeurs den Eindruck derräumlichen Vertiefung
immer überzeugender herauszubringen suchen.
JOHN HOPPNER DIE FAMILIE RAYMOND SYMONS
Im Besitze des Herrn Asher Wertheimer, London
Nach einer Aufnahme der Photographischen Gesellschaft, Berlin
Diese ganze Entwicklung erfolgt vollkommen
logisch und stufenweise in der Richtung auf
Steigerung der Illusion. Die Lösung, welche
dabei die spätere Generation findet, ist nicht
einfach eine Anderslösung, sondern eine Besserlösung
, besser im Sinne der gerade herrschenden
auf die Natur gerichteten Tendenz.
Dagegen in Zeiten, die auf den Stil gerichtet
sind, wird die Besserlösung nicht in einer
Annäherung an die Natur, sondern in einer
Entfernung von derselben gesucht. Dabei darf
aber diese Entfernung nicht beliebiger Art
sein. Nicht darum handelt es sich, daß man
das, was man früher grün malte, jetzt rot
malt. Sondern die Aufgabe ist die, aus den
Bedingungen des Materials und der dekorativen
Wirkung heraus eine Stilisierung der Natur
zu entwickeln, die über diejenige der Vorgänger
hinausgeht. Natürlich
hat auch diese Tendenz ihre
Grenze. Hat sie sich einmal
genügend ausgesprochen oder
ist sie auf einem toten Punkt
angelangt — und gerade jetzt
wird das sehr bald der Fall sein
— so folgt wieder der Rückschlag
zur Natur. Dieser Rückschlag
wird ganz unbedingt eintreten
, und ihn vorzubereiten
oder wenigstens vorauszusehen,
ihm die Wege zu ebnen, ist die
Aufgabe der gegenwärtigen Kritik
. Es gibt eine Konvention
der Stilisierung ebensogut, wie
es eine Konvention des Naturalismus
gibt. Jede Konvention
kann aber nur kurze Zeit dauern.
Denn sie bedeutet nicht Leben,
sondern Tod. Entwicklung aber
ist Leben.
Man verfällt nur zu leicht der
Meinung, gerade dasjenige Verhältnis
zur Natur, das gegenwärtig
herrscht, repräsentiere
das absolut Schöne, eine Entwicklung
könne immer nur in
dieser Richtung stattfinden. Aber
es gibt kein absolut Schönes.
Die Zweiheit, die im Wesen der
Kunst liegt, und die bisher nur
von der Illusionsästhetik klar erkannt
worden ist, macht eine
fortwährende Weiterentwicklung
im Sinne des Wechsels zur Notwendigkeit
. Ja diese Zweiheit ist
es erst, die eine stetige Weiterentwicklung
überhaupt ermöglicht
. Wäre sie nicht vorhanden,
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