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-^4^> HUGO VON TSCHUDI -C^=^
GEORGE ROMNEY MRS. LONG
Im Besitz des Herrn Kommerzienrats Dr. E. Simon, Berlin
Nach einer Aufnahme der Photographischen Gesellschaft, Berlin
Sonach darf es niemand wundernehmen, wenn
die Erörterungen über den »Fall Tschudi« mit einer
unverkennbaren Erbitterung geführt werden. Nachdem
so manche unter dem Eindruck gewisser Symptome
, als welche z. B. die Berufungen Messels, Pauls
angesehen wurden, aufgehört hatten, die Gefahr der
Unterdrückung der naturgemäßen Kunstentwicklung
durch die private Kunstmeinung des Kaisers zu befürchten
— bringt Tschudis Abgang nun einen Rückschlag
, der obendrein mit der doppelten Bitternis
enttäuschter Hoffnungen geladen ist.
Daß der Kaiser die künstlerischen Anschauungen,
nach denen Tschudi die Nationalgalerie umgeschaffen
und durch die er die Entfaltung der Künste und Kunsttheorie
in Deutschland in der nachhaltigsten Weise
beeinflußte, durchaus nicht teile, das war seit manchem
Jahre kein Geheimnis mehr. Man wußte ebenso,
daß der Kaiser aus dieserseiner schroff abweichenden
Ansicht Herrn von Tschudi nie ein Hehl gemacht,
man wußte ebenso, daß nicht einmal Tschudis geschichtliche
Tat, die »Deutsche Jahrhundert-Ausstellung
^ ein stolzes, wahrhaft nationales Werk, des
Kaisers Anerkennung und Dank gefunden. Trotzdem
, und obwohl es bei fast allen Neuerungen und
Neuerwerbungen von Belang zu neuerlichen Bekundungen
der Meinungsunterschiede kam, hat der Kaiser
Herrn von Tschudi auf einer Stelle stehen lassen, wo
die ganze Kulturwelt mit einmütiger Bewunderung
ihn schalten und walten sah. Hätte der Kaiser sich
des Herrn von Tschudi als eines »Mißliebigen« entledigen
wollen, so hätte er dazu in den letzten Jahren
unendlich oft Gelegenheit gehabt. Doch nein: der
Kaiser und König hat die vollständige Umwandlung
der Nationalgalerie Schritt für Schritt
verfolgt, fast jeden Schritt als seiner
persönlichen Kunstanschauung widersprechend
empfunden und bezeichnet —
und doch schließlich geschehen lassen.
Der Kaiser hat also, wohl unter Beachtungtreuer
Ratschläge wahrhaft sachkundiger
Berater, seine private Kunstanschauung
der Leitung der ersten
deutschen Kunstsammlung nicht aufzwingen
wollen. Er hat seine Ansichten
offen geäußert — dazu hielt er sich für
Kenner genug — aber er hat nicht gefordert
, daß seine Ansicht absolut maßgebend
sein solle, ja er hat es jahrelang
ertragen, daß dieser seiner offen
kund gegebenen Ansicht zuwider verfahren
wurde — eine Tatsache, die bei
dem lebhaften Willen und Temperament
des Monarchen nur erklärt werden kann
durch den überzeugenden Ernst berufenster
Ratgeber, die den gewiß oft
stark verärgerten Herrscher mit Recht
auf eine nicht allzuferne Zukunft hinweisen
konnten, da die bis dorthin
lückenlose Folge der Entwicklungsphasen
innerhalb der Nationalgalerie endlich
diese als eine vollkommen harmonische
Einheit erscheinen lassen
werde auch dem, der zu den einzelnen
Entwicklungsphasen kein Verhältnis gewinnen
kann — und jedenfalls als das
geschlossenste, klarste Spiegelbild der
neuen deutschen Kunstentfaltung und
ihrer Beziehungen zur allgemeinen,
internationalen Entwicklung, das überhaupt
existiert. Ohne Zweifel hat der
Kaiser — vielleicht auch unter dem
Eindrucke der ernsten Persönlichkeit
Tschudis — auf ein derartiges Endergebnis
gehofft. Denn der unterschätzt denn doch wohl
das Pflichtgefühl, wie auch das Selbstbewußtsein
Wilhelms IL, der annehmen wollte, der Kaiser hätte
Tschudi auch nur einen Tag länger auf seinem
Posten gelassen, wenn er nicht die Ueberzeu-
gung gehabt hätte, daß sich dessen Tätigkeit in
ihren abschließenden Ergebnissen doch auch ihm
noch als notwendig und richtig erweisen würde.
Kurz: Wilhelm II. fühlte sich immer im äußersten
sachlichen Gegensatz zu Tschudi, war aber hochherzig
genug, diesen im Grund doch als bedeutende
Persönlichkeit gefühlten Mann walten zu lassen.
Demnach ist es ausgeschlossen, daß die nun plötzlich
akut gewordene Tschudi-Krise von dem Monarchen
verschuldet sei. Es sind andere Leute, die all
das Böse auf dem Gewissen haben, was jetzt ausgesät
wird in die Herzen des gebildeten Deutschland
; und man wird kaum irren, wenn man annimmt,
daß es »Interessenten« sind. An Stelle der getreuen
und höchst sachkundigen, uneigennützigen Berater,
die bisher den Monarchen informierten, haben irgend
welche Interessenten auf irgend einem Wege irgend
welchen Einfluß gewonnen, den sie nun ausbeuten,
um einen ihrer Begehrlichkeit im Wege stehenden
festen Charakter zu beseitigen und dann für sich
und die Ihrigen zu sorgen; auf Kosten des kulturellen
Ansehens Deutschlands, auf Kosten unserer Kunst,
auf Kosten des monarchischen Prinzips, kurz, auf
Kosten des nationalen Wohles in geistigen, künstlerischen
und politischen Dingen. Eine ganz glatte
Rechnung. Es fragt sich nur, wer sie bezahlt.
Tschudi auf keinen Fall. Was bedeutet für ihn,
den vornehmen, freien und künstlerischen Mann
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