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-3-^> HUGO VON TSCHUDI <^M^
der Verlust einer Beamtung? — Er ist ja nicht durch
das Amt »groß« geworden, sondern im Gegenteil:
das Amt durch ihn. Er bleibt, der er war; und wenn
er einen anderen amtlichen Wirkungskreis will, so
wird er ihn sich nur zu wählen brauchen. In München
hält man ja längst Umschau nach einem bedeutenden
Organisator, der das allbereits als unauf-
schieblich erkannte Werk der Regeneration unserer
Kunstsammlungen großzügig durchzuführen vermöchte
. Und wenn die Münchner auch nicht in
allem mit Tschudi übereinstimmen, wenn er uns
auch manchen Franzosen etwas zu überschätzen und
manchen der Unseren ein wenig zu unterschätzen
scheint: wir würden doch kaum einem anderen größeres
Vertrauen entgegenbringen als gerade Tschudi,
dessen Wiege im deutschen Süden gestanden hat.
Er ist ein künstlerisch empfindender Mensch, und
das fällt schwerer ins Gewicht, als Geschmacks-
Differenzen in der Bewertung des einzelnen; gerade
über solche sekundäre Geschmacks-Differenzen
setzt sich der Künstler eher hinweg als jeder andere.
Sie bestehen auch zwischen Künstler und Künstler,
sie sind zweifellos ein notwendiges Ergebnis der im
Künstler sich manifestierenden höchstpersönlichen
Eigenart.
Darum wird jeder Künstler — ob zu München
oder anderswo daheim — seine besonderen Einwendungen
gegen die Bestände der Nationalgalerie haben
, jeder wird etwas vermissen — sei's auch bloß
ein Bild von sich selbst — aber jeder einzelne wird
der Sammlung als Ganzem Bewunderung
zollen. Im Ganzen spricht sich
eine starke Persönlichkeit aus, ein
schöpferischer Geist, der mitschwingt
im Entwicklungsstrom der künstlerischen
Kräfte seiner Zeit — der nicht
bloß vernünftelnd registriert. Ein solcher
Geist ist nicht zu ersetzen. Es
mag's ein anderer auf seine Weise vielleicht
ebensogut erreichen — wenn er
von Grund aus auf seine Manier aufbauen
kann. Das aber ist hier nicht
mehr möglich. Tschudis Werk kann
nur Tschudi zu Ende denken. Und
diese persönliche, spezifisch künstlerische
Art, eine Sammlung auszubauen,
sie ist es, die Tschudi den bildenden
Künstlern so nahe verbündet.
Nein, Tschudi würde die Kosten
nicht zu zahlen haben. Die hereingefallenen
« wären unter allen Umständen
die Nationalgalerie selbst, Berlin
und der preußische Staat. Tschudi
übernahm die Nationalgalerie bei seinem
Amtsantritte als ein kurioses Sammelsurium
: schlecht gemalte patriotische
Festreden und Leitartikel wechselten
mit ebenso schlecht gemalten populären
Unterhaltungsbildchen, Moritaten
und anderen hochsensationellen
Schaustellungen; dazwischen führten
einige Kunstwerke ein kümmerliches
Dasein in gedrückten Umständen. So
lange es so aussah in der Nationalgalerie
, wurde Berlin als Kunststadt
nicht ernst genommen — trotz einer
Reihe bedeutender, ja führender Künstler
, die dort schufen, trotz eines regen
Ausstellungslebens und eines flott haussierenden
Kunsthandels. Es fehlte eine
Stätte, wo sich ein konzentrierter Ueber-
blick über all das gewinnen ließ, was
Berlin an künstlerischem Vermögen,
Können, Verstehen und Genießen in sich schloß.
Das fiel umsomehr auf, als gleichzeitig die gewaltige
organisatorische Wirksamkeit Bodes die Sammlungen
alter Kunst in Berlin auf die höchste Höhe
brachte. Zum Exempel: In Berlin lebte dortmals
ein gewisser Menzel. Er galt für einen großen
Zeichner und für einen der bedeutendsten Maler
seines Zeitalters: warum, das wußte man nicht so
recht. Denn was ihn in der Oeffentlichkeit repräsentierte
, große höfische Stücke, erweckte nicht
mehr als pflichtschuldigste Hochachtung vor unzweifelhafter
Tüchtigkeit und beispiellosem Fleiße.
Nur aus Illustrationen und spurweise auftretenden
intimeren Stücken schlössen Kenner, daß dieser
Menzel »im Zivilverhältnis< ein Genie sei. Da
ließ Tschudi eines Tages die Nationalgalerie ausräumen
und stellte vor aller Welt das Gesamtwerk
dieses p. p. Menzel auf: im selben Augenblick
besaß Berlin, besaß Preußen, besaß Deutschland
einen bedingungslos von aller Welt anerkannten
großen Meister, der die malerische Weltkultur —
ihm durch Constable vermittelt — in sich verarbeitet
und aus ihr Ergebnisse gewonnen hatte, die selbst
bei den bevorzugten Franzosen erst Jahrzehnte später
reiften. Was Tschudi für Menzel und Berlin errungen
, das erkämpfte er für alle deutschen Künste
ler des 19. Jahrhunderts und für ganz Deutschland,
als er die von kunstfremden Leinwänden gesäuberte
Nationalgalerie der »Jahrhundert-Ausstellung« zur
Verfügung stellte. Nun erst besaß Deutschland die
JOHN HOPPNER LOUISA MANNERS
Im Besitz des Herrn Asher Wertheimer, London
Nach einer Aufnahme der Photographischen Gesellschaft, Berlin
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